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„Falsche justizpolitische Weichenstellung“

■ Justizsenator Henning Scherf, SPD-Präsidiumsmitglied, kritisiert Kompromiß zum „Verbrechensbekämpfungsgesetz“

Totgesagte leben länger: Am vergangenen Montag hat sich eine PolitikerInnenrunde von SPD und CDU doch noch auf den Entwurf zu einem „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ geeinigt. Vorher waren Koalition und Opposition mit ihren Entwürfen gescheitert: Die SPD bereits im Bundestag, die Regierung im Bundesrat. Heute soll die Kompromißfassung auf den Tisch des Vermittlungsausschusses.

RichterInnen, AnwältInnen und JustizpolitkerInnen haben sich quer durch die Bank gegen das „mit heißer Nadel gestrickte“ Gesetz ausgesprochen. Die bekanntgewordenen Details sehen u.a vor, den Bundesnachrichtendienst bei der Bekämpfung „schwerster Verbrechen“ (Drogenhandel, Waffenschmuggel Geldwäsche) mit der Polizei kooperieren zu lassen, die Kronzeugenregelung auf das „organisierte Verbrechen“ auszuweiten und die Strafe für die Auschwitz-Leugnung von drei auf fünf Jahre anzuheben; vor den Amtsgerichten soll es ein Schnellverfahren mit verkürzter Beweisaufnahme geben. Die „RichterInnen und StatsanwältInnen in der ÖTV“ haben den Vorschlag als „Politikerhandel mit Rechtsstaatpositionen“ kritisiert. Henning Scherf, Bremer Justizsenator und Mitglied im SPD-Bundesvorstand, hat seine Partei mehrfach gewarnt, sich an der Law-and-Order-Diskussion zu beteiligen.

Sie haben im Zusammenhang mit diesem Verbrechensbekämpfungsgesetz davor gewarnt, „kurzen Prozeß“ zu machen. Steht das jetzt ins Haus?

Henning Scherf: Ja, die Nachrichten lassen den Schluß zu, die Unterhändler in Bonn hätten sich auf dieses verkürzte Verfahren verständigt, nach dem keine Beweisanträge des Verteidigers zugelassen werden. Das halte ich für einen fundamentalen Eingriff in bisher auch aus Verfassungsgründen dringend zu schützende Verfahrensregelungen. Ich teile die Kritik praktisch aller justizpolitischen Fachleute außerhalb der Parteien. Wir wollen uns nicht beteiligen an dieser Art von kurzem Prozeß.

Die Entscheidung fällt heute im Vermittlungsausschuß. Haben Sie die Hoffnung, daß man das noch rückgängig machen kann?

Die Ländervertreter haben mit unterschiedlichen Begründungen dieses „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ der Bundesregierung abgelehnt. Es gibt zum Beispiel eine qualifizierte Bremer Begründung, warum wir verfassungsrechtliche und grundsätzliche justizpolitische Bedenken haben. Darüber kann man nicht einfach im Vermittlungsausschuß hinweggehen. Ich finde es ein starkes Stück, daß sich Leute über solche Fragen in Hinterzimmern einigen. Man muß bei solchen schwerwiegenden, verfassungsrechtlich relevanten Initiativen eine Öffentlichkeit herstellen. Das ist das Minimum demokratischen Entscheidens. Ich verlange, daß auf den Tisch kommt, was da ausgehandelt worden ist, wir sind doch keine Geheimdiplomaten.

Sie sind nicht nur Justizsenator, sondern auch Mitglied im Bundesvorstand der SPD. Die SPD hat in diesen Verhandlungen zugestimmt. Warum hören die Genossen nicht auf Sie?

Das waren Bundestagsvertreter und Innenpolitiker der SPD, das ist nicht „die SPD“. Die haben – heftig von mir kritisiert – die erste Initiative dieser Art zur Europawahl auf den Weg gebracht, die sang- und klanglos untergegangen ist.

Wenn der Bundesnachrichtendienst an der Verbrechensbekämpfung beteiligt wirdd, dann ist das keine Nebensächlichkeit, sondern ein zentraler Bruch mit der verfassungsrechtlich wohlbegründeten Trennung von Justiz und Strafverfolgung einerseits und Verfassungsschutz andererseits.

Die Verhandlungsführer sind ja auch SPD-Politiker. Sie haben gesagt, die SPD kann nur verlieren, wenn sie sich auf die Law-and-Order-Diskussion einläßt. Sie ist gerade dabei, zu verlieren, wenn ich Sie richtig verstehe.

Es macht den Eindruck, daß sie das nicht genügend berücksichtigt haben. Mein Problem ist, daß ich das Ergebnis nicht genau kenne, sondern auf Pressemeldungen angewiesen bin. Natürlich muß ich aushalten, daß sich in der Partei zu diesem wichtigen Thema viele Leute zu Wort melden, aber ich muß weiter mein Mandat wahrnehmen. Weder der Bundesvorstand der SPD hat zu dieser Sache ja gesagt noch meine Landesregierung.

Die Zustimmung zu diesem Gesetz ist ein Schritt in die falsche Richtung: Wir versuchen seit Anfang der siebziger Jahre durch eine Serie von Strafverfahrensänderungen und Strafverschärfungsgesetzen der Kriminalität Herr zu werden. Nun sieht es aus, als hätten wir alles, was wir Anfang der siebziger Jahre in sozialliberaler Koalition beschlossen haben, vergessen. Immer sagen wir, wir bekämpfen damit die Kriminalität und es wird endlich besser werden, und das Gegenteil ist beobachtet worden. Es gibt in der Fachöffentlickeit eine breite Zustimmung zu dieser Kritik. Die Bonner arbeiten ohne fachliche Unterstützung. Es gibt keinen wirklich seriösen Fachmann, kein seriöses Institut, das diese Initiative der CDU/CSU/FDP wirklich trägt. Das sind opportunistische Gesten.

Aber was in der Diskussion fehlt, ist ein klares Profil der SPD.

Nein, das wäre zu schlicht gesehen. Die Frage ist doch: Haben wir eigentlich genügend Leute in unserer Gesellschaft, die dieses Problem verfassungsrechtlicher Strafverfahrenskontrollen zu ihrer Sache machen oder nicht. Ich plädiere dafür, daß sich diese Leute in der SPD sammeln und zu Wort melden. Wir dürfen nicht verzagen, auch wenn Boulevardjournalisten und Angstmacherstrategen die öffentliche Debatte beherrschen.

Es gibt eine Menge Leute, die denken beim Thema Innere Sicherheit: Warum soll ich die SPD wählen, da nehme ich gleich das Original , nämlich die CDU.

Ich glaube, die Bundestagswahlen bedingen verkürzte Debatten. Wir beschäftigen uns mit einer sehr komplexen Frage, die nicht im Zentrum der Wahlauseinandersetzung steht. Damit erkläre ich mir die Verhandlungsbereitschaft einiger Bonner Sozialdemokraten. Die Schlacht wird auf dem Feld der wirtschaftlichen Zukunft, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der sozialen Sicherung geschlagen.

Herta Däubler-Gmelin ist designierte Justizministerin in Scharpings Schattenkabinett und hat den Kompromiß begrüßt. Sie dagegen sprechen von „Kuhhandel“. Was kann man da von einer Bundesjustizministerin erwarten?

Ich habe einem Interview mit ihr entnommen, daß sie mit dem Eindruck aus den Verhandlungen gegangen ist, der Koalitionsvorlage die Giftzähne gezogen zu haben. Sie sieht das als einen Erfolg. Ich kann das nicht nachvollziehen, würde aber gerne über Details mit ihr reden. Zur Zeit habe ich den Eindruck, daß das nicht so gelungen ist, wie sie das gerne möchte, sondern daß die Koalition sich in wichtigen Fragen durchgesetzt hat.

Das klingt , als hätte sich die SPD über den Tisch ziehen lassen.

Ich würde es nicht so grob sagen, sie ist ja meine künftige Kollegin, die ich so gut es geht unterstütze. Der Haken ist , daß wir gar nicht wissen, was die genau ausgehandelt haben. Ich hoffe, auch Herta Däubler-Gmelin überzeugen zu können, wenn meine Kritik im Vermittlungsausschuß wiederholt wird. Sie hoffen, daß dieses unklare Vermittlungsergebnis heute revidiert wird?

Ja. Ich kann mir vorstellen, daß es eine große Zahl von Mitgliedern des Vermittlungsausschusses gibt, die sich auf diesen Kuhhandel nicht einlassen. Das Ganze findet auf den letzten Metern der Legislaturperiode statt, jetzt gucken alle auf den Wahltermin, und im Aufgalopp sollen unangenehme Streitsachen erledigt werden. Da ist bedrohlich, daß die Zeit zu kurz ist, daß die Fachöffentlichkeit ausgeschlossen wird, daß die Ministerien wie meines keine Chance haben, fachlich zu votieren. Das ist ja eine justizpolitische Weichenstellung.

Fragen: Bernhard Pötter

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