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Keine nostalgische Hauptstadtreise

■ Die „Hauptstadt in der Stadt“ ist kleiner geworden: eine Ausstellung über die aktuellen Regierungsplanungen / Unter Planern wie Politikern macht sich Ernüchterung breit

Wie sich die Hauptstadt mit ihren Regierungsbauten entwickeln wird, glaubte mancher noch vor einem Jahr so zu wissen: Vom Moabiter Werder über den Spreebogen bildete ein breites Häuserband Raum für die Wohnungen und Büros der Parlamentarier. Eine „Spange“ aus Kanzleramt und großem Forum spannte sich über die Spree. Dem alten Reichstag stellte der Architekt Axel Schultes den Bau des Bundesrates gegenüber. Auf dem Areal der ehemaligen Ministergärten verteilten sich Neubauten der Ländervertretungen und Ministerien, in der Innenstadt siedelten die Staatsbeamten in Luxusherbergen. Und auf der Spreeinsel, soviel schien sicher, verdrängte ein schloßförmiges Kongreßzentrum den Palast der Republik.

Heute, ein Jahr später, ist Ernüchterung sowohl bei den visionären als auch herrischen Planern und Politikern eingekehrt. Berlin hat sich nicht wie eine formlose Masse kneten lassen – mancherorts jedenfalls nicht. Die Bonner Abgeordneten mußten ihre Begehrlichkeiten relativieren. Die „Hauptstadt in der Stadt“ – so der Titel einer Ausstellung über die Regierungsplanungen – ist kleiner, wenn auch nicht weniger problematisch geworden, sind doch die geplanten neuen Ministerien in bestehende Altbauten verteilt und großflächige Baumaßnahmen mit städtischen Anteilen perforiert worden. Und selbst die Debatte um den Erhalt oder Abriß des Palastes der Republik erhält nach dem Spreeinsel-Wettbewerb neue Nahrung zugunsten des ungeliebten Reliktes der DDR-Vergangenheit.

Dabei handelt es sich bei der Ausstellung im Berlin-Pavillon nicht nur um eine nostalgische Reise sowie Aufarbeitung einer defizitären Planungsgeschichte. Vielmehr thematisiert die Schau aus Fotos, mit Zeichnungen, Modellen und Plänen die aktuellen Konflikte in der Hauptstadtentwicklung. Stand anfangs etwa besonders die Sorge im Mittelpunkt, daß monofunktionale Regierungskomplexe die Stadtstruktur im Dreieck Reichstag/Ministergärten/Spreeinsel zerreißen und dominieren könnten, so kommt nun hinzu, daß der aufgeweichte Schultes-Entwurf für den Spreebogen dort nur als Fragment zu realisieren ist. Allein das Kanzleramt und die Büros der Parlamentarier östlich des Reichstags werden gebaut. Ein Solitär im Tiergarten konterkarierte die Absicht, die neuen Regierungsbauten aus dem Gefüge der Stadt wachsen zu lassen.

Ein Problem stellt darüber hinaus die Mischung der städtischen Funktionen mit den Sicherheitsanforderungen des Bundes dar. Bei der Bebauung der Dorotheenblöcke hinter dem Reichstagsgebäude sollen beispielsweise Gebäudebrücken die Abgeordneten vor dem Kontakt mit der Straße schützen. Es sei ein merkwürdiges Verhältnis zu Berlin, sagte Bausenator Wolfgang Nagel zur Ausstellungseröffnung, wenn Abgeordnete quasi „Angst vor den Bürgern“ hätten und sich ihr Wohngebiet am Moabiter Werder einzäunen lassen wollten.

Während die „kritische Zwischenbilanz“ (Nagel) den geplanten Tunnel unter dem Tiergarten und die durchgehetzten Planungsprozesse (bei der Hauptstadtplanung wurden die Klagerechte der Anwohner und die bezirklichen Interessen eingeschränkt) ausspart, bezieht sie Position beim Thema Spreeinsel. Noch einmal werden die Entwürfe der Wettbewerbsteilnehmer Bernd Niebuhr (1. Preis) und Oswald Mathias Ungers (4. Preis) gegenübergestellt, gleichsam als Exempel für die Alternativen im Umgang mit dem früheren Schloßbereich: Abriß oder Erhalt der architektonischen Zeugnisse der DDR. Der Bausenator kritisierte in diesem Zusammenhang den Wettbewerbssieger wie den Wettbewerb selbst. Man solle sich vor dem „arroganten Umgang“ mit den baulichen Chiffren der DDR-Geschichte ebenso hüten wie vor Bauwettbewerben, denen eindeutige politische Vorgaben über die künftige Nutzung und Bedeutung des Raumes fehlten. Rolf Lautenschläger

Die Ausstellung ist bis zum 8. Januar 1995 im Berlin-Pavillon zu sehen. Di. bis So. 11 bis 19 Uhr

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