: NRW-GEW distanziert sich vom eigenen Blatt
■ Artikel in GEW-Zeitung zur Gesamtschule wurde „mißbilligt“
Essen (taz) – Die Berichterstattung in der gewerkschaftseigenen Zeitung NDS zum 25jährigen Jubiläum der Gesamtschule hat in der nordrhein-westfälischen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu einer scharfen Kontroverse geführt. Die Landesvertreterversammlung der GEW distanzierte sich am Samstag mit großer Mehrheit von der eigenen Zeitung. Gleichwohl darf NDS-Chefredakteur Fritz Junkers bleiben. Die von der Arbeitsgemeinschaft Gesamtschule geforderte Abberufung des Chefredakteurs fand keine Mehrheit. Junkers zeigte sich „bestürzt“ über den Abwahlantrag. Ihm sei es darum gegangen, eine „ehrliche und offene“ Diskussion über die Gesamtschule zu initiieren. Offenbar hat er da die Diskussionsbereitschaft der Gesamtschulbefürworter überschätzt.
Daß die NDS die kritische Bilanz des pensionierten Gesamtschullehrers Ulrich Sprenger, (vgl. taz-Interview von Samstag) abgedruckt hat, werten viele GEW- Mitglieder schlicht als „Skandal“. Der Artikel, so die Kritik von in der GEW organisierten GesamtschulleiterInnen, komme einem „Fußtritt“ für alle gewerkschaftlichen Gesamtschulbefürworter gleich. Er diffamiere die „engagierte, hervorragende und deshalb so erfolgreiche Bildungs- und Erziehungsarbeit der Lehrer und Lehrerinnen an Gesamtschulen“. In die Empörungsfront reihte sich auch der Landesgeschäftsführer der SPD, Ernst-Martin Walsken, und der stellvertretende DGB- Landesvorsitzende, Walter Haas, ein. Walsken hat den Artikel, dem offenbar ein „biologistisches Menschenbild“ zugrunde liege, mit „Zorn und Empörung“ gelesen. Und Haas mochte es gar nicht glauben, daß die NDS einem Gesamtschullehrer Platz „zur Verbreitung seiner höchstpersönlichen Frustration“ einräumte.
Nun, der massive Aufschrei von Haas & Co. dokumentiert das genaue Gegenteil: Im Kern trifft der von Sprenger vorgelegte Bericht gerade deshalb auf die Zustimmung vieler GesamtschullehrerInnen, weil er nicht vom individuellen Frust eines Lehrers kündet, sondern die Alltagsprobleme in zahlreichen Gesamtschulen ohne jede taktische Zurückhaltung glasklar benennt. Offen bekennen mochte sich von den GEW-Delegierten dazu am Samstag indes kaum jemand. Daß die Hardliner jedoch mit ihrer Forderung nach Entfernung des Chefredakteurs so deutlich gescheitert sind, gibt zu der Hoffnung Anlaß, daß die Tabuisierung der Diskussion nicht mehr lange Bestand haben wird. Jede andere Entscheidung hätte, so ein Delegierter in Essen, „die innergewerkschaftliche Diskussionsfähigkeit gefährdet“.
Ob der am Samstag neugewählte Landesvorsitzende Jürgen Schmitter (51) diese innergewerkschaftliche Diskussionsfähigkeit künftig zu fördern vermag, steht dahin. Schon in der nächsten Woche will der neue Landeschef, der den Artikel „so nicht“ veröffentlicht hätte, mit dem Chefredakteur reden. Dabei will Berufsschullehrer Schmitter, der der SPD angehört, dem Chefredakteur keinen Maulkorb verabreichen, wohl aber darauf hinweisen, daß die NDS „keine frei floatende Zeitung, sondern unser Verbandsorgan ist“. Walter Jakobs
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