Rußlands Rechte weiter ohne Führer

■ Kongreß der „Patriotischen Kräfte“ offenbar ohne Ergebnisse beendet / Streit zwischen Gaidar und Schirinowski blockiert Wahl eines gemeinsamen Kandidaten

Moskau (taz) – Haben Rußlands „Patriotische Kräfte“ einen Präsidentschaftskandidaten? Ex- Vizepräsident General Ruzkoi zumindest bestand darauf, daß ihr Kongreß noch keinen endgültigen Führer benannt habe, dies aber unzweifelhaft in den nächsten ein oder zwei Monaten schaffen werde. Gleichzeitig solle ein Schattenkabinett auf die Beine gestellt werden. Experten in Moskau rechnen derweil damit, daß die oppositionellen Kräfte, die sich am Donnerstag und Freitag in Kaliningrad noch nicht allzu einträchtig gezeigt hatten, zu Beginn der neuen Sitzungsperiode des Parlamentes dennoch einen einhelligen Mißtrauensantrag stellen werden. Ziel: die jeweils eigenen Leute auf Ministerposten zu hieven.

Wie schon bei der Gründung des Bündnisses „Eintracht im Namen Rußlands“ im Frühjahr hatten sich in Kaliningrad die kommunistischen Führer Gennadi Sjuganow, Sergei Baburin und der unentwegte General Alexander Ruzkoi getroffen. Zu ihnen gesellte sich diesmal Ex-Sozialdemokrat Oleg Rumjanzew. Der Führer des demonstrationsfreudigen Rentnerbundes „Arbeitendes Moskau“, Wiktor Ampilow, gab dagegen an, er habe keine Einladung erhalten. Auch die Ex-Putschisten fehlten, und die „Agrarier“ und Schirinowskis „Liberaldemokraten“ vertraten wenig Prominente.

Wladimir Wolfowitsch feierte wohl noch seinen Prozeßsieg über Jegor Gaidar. Denn das Volksgericht des Moskauer Twerskoj-Bezirkes hatte am Donnerstag den Ex-Ministerpräsident und die Zeitung Iswestija zur Zahlung von je etwa 350 Mark Schmerzensgeld verurteilt und ihnen untersagt, Schirinowski weiterhin einen „Faschisten“ zu nennen. Zankapfel war eine ausführliche Analyse der Politik der LDPR, die Gaidar im Frühjahr in dem Blatt veröffentlicht hatte. Unter anderem hatte er Schirinowski dort einen „Hitler- Epigonen“ und „Lügner“ genannt. Zur Klage bewegt hatten Schirinowski aber nur zwei der Sätze, in denen er als „faschistischer Populist“ und der „faschistische Führer Rußlands“ bezeichnet wurde.

Vor Gericht hatte Schirinowskis Anwalt jedes dieser Argumente mit einem superdemokratischen Zitat seines Klienten gekontert. Vor allem, daß Russen den Faschismus gewöhnlich mit dem Zweiten Weltkrieg gleichgesetzen, Schirinowski aber nirgendwo offen zum Krieg aufriefe, scheint das Gericht überzeugt zu haben. Richterin Ludmilla Bykowskaya wollte sich dazu nicht äußern, was die Tageszeitung Segodnja („Heute“) zu der Feststellung animierte, russische Gerichte seien wohl befähigt, „die Reihenfolge von Ursache und Wirkung zu verwechseln“. Gaidar hat derweil Einspruch beim obersten Gericht Moskaus eingelegt. Ein Führer für Rußlands Rechte scheint angesichts dessen nicht in Sicht. Barbara Kerneck