: Längst keine Zwangsarbeit mehr
■ Sozialsenatorin zieht positive Bilanz des Programms "Hilfe zur Arbeit" / Was früher als Kontrolle für SozialhilfeempfängerInnen eingeführt wurde, kann heute eine große Nachfrage verzeichnen
„Das Wichtigste ist, wieder Anschluß an das normale Leben zu bekommen,“ sagt Miriam Schulte*, „und daß ich nachher Anspruch auf Arbeitslosengeld und vielleicht auch auf eine Umschulung habe.“ An einen festen Job glaubt die 32jährige, die nach einer abgebrochenen Ausbildung lange von Sozialhilfe gelebt hat, nicht mehr. Zum ersten Mal in ihrem Leben hat sie jetzt einen „richtigen“ Arbeitsvertrag, wenn auch befristet auf ein Jahr. Seit drei Monaten arbeitet sie als Küchenhilfe bei „Pottporree“ im Nachbarschaftsheim Urbanstraße und bereitet dort in der Großküche den fahrbaren Mittagstisch vor. Wie 14 andere Frauen zwischen 25 und 45 ist Miriam Schulte hier über das Programm „Hilfe zur Arbeit“ angestellt.
„Hilfe zur Arbeit“ bietet seit zehn Jahren inzwischen jährlich 2.000 langzeitarbeitslosen SozialhilfeempfängerInnen auf ein Jahr befristete, sozialversicherungspflichtige Arbeitsverträge bei Projekten wie Pottporree, die die TeilnehmerInnen gleichzeitig qualifizieren, oder auch bei Einzelanbietern. 80 Millionen Mark stellte der Senat in diesem Jahr dafür zur Verfügung, im nächsten werden es sogar noch zehn Millionen mehr sein. Der Doppeleffekt: Die TeilnehmerInnen erhalten die Chance, ins Arbeitsleben einzusteigen oder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld und Umschulungen zu erwerben. Damit wird mittelfristig der Sozialhilfeetat entlastet.
Miriam Schulte kann auf zwei Jahre bei Pottporree hoffen. In den meisten Fällen werden die Verträge verlängert und danach sieht es, so das Ergebnis der Studie „Wege aus der Sozialhilfe“, gar nicht so schlecht aus. Die Studie, die Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) gestern vorstellte, hat den Verbleib der 1.416 „Hilfe zur Arbeit“-TeilnehmerInnen aus dem Jahre 1989 untersucht.
Das Ergebnis: Fünf Jahre nach Arbeitsbeginn leben zwei Drittel aller TeilnehmerInnen unabhängig von Sozialhilfe. Von diesen zwei Dritteln ist die eine Hälfte auf dem ersten oder zweiten Arbeitsmarkt beschäftigt, die andere absolviert Umschulungen, Weiterbildungen oder erhält Leistungen des Arbeitsamtes. Dies sei „um so erstaunlicher“, so Sozialsenatorin Stahmer, weil eine „schwierige Zielgruppe“ erreicht worden sei: Fast 90 Prozent der TeilnehmerInnen waren vorher länger als ein Jahr arbeitslos, fast die Hälfte lebte länger als zwei Jahre von Sozialhilfe. 60 Prozent verfügten über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Nicht nur die Integrationsquote sei „sogar höher als erwartet“, auch die Entlastung des Sozialhilfehaushalts sei größer als bisher angenommen. Kritik übten die TeilnehmerInnen vor allem an der unzureichenden sozialpädagogischen Betreuung und an der begrenzten Zahl von Beschäftigungsmöglichkeiten.
Beispiel Kreuzberg: Zehn Millionen Mark hat Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) in diesem Jahr für „Hilfe zur Arbeit“ zur Verfügung. Für 250 SozialhilfeempfängerInnen können damit Stellen bereitgestellt werden. „Aber die Nachfrage ist viel höher“, sagt die Sozialstadträtin. 150 Leute stehen derzeit auf der Warteliste. Wäre mehr Geld da, könnten auch sie beispielsweise in der Amerika-Gedenk-Bibliothek Bücher ausgeben und einsortieren, bei Combobau Altbauten sanieren, im Museum für Verkehr und Technik handwerkliche Arbeiten übernehmen oder bei Atlantis im Bereich Solarenergie/Fotovoltaik ihre technischen Begabungen ausprobieren. Auch Bürotätigkeiten und Sozialarbeit stehen auf Junge- Reyers Programmliste, sie alle werden tarifgerecht bezahlt.
Die meisten InteressentInnen müssen vor Aufnahme in diesen Teil des „Hilfe zur Arbeit“-Programms „gemeinnützige und zusätzliche Arbeit“ leisten, für die sie mit drei Mark pro Stunde zusätzlich zur Sozialhilfe entlohnt werden. Diese „Drei-Mark-Arbeit“ wurde Anfang der achtziger Jahre zur „Überprüfung der Arbeitsbereitschaft von SozialhilfeempfängerInnen“ eingeführt und heftig als „Zwangsarbeit“ kritisiert. Damit habe diese Arbeit heute nichts mehr zu tun, meint Sozialstadträtin Junge-Reyer: „Es gibt eine große Nachfrage nach diesen Stellen.“ Dennoch gibt es Kritik an der Drei-Mark-Arbeit. Stahmers Konsequenz: „Die beiden Maßnahmen müssen stärker aufeinander abgestimmt werden.“
Miriam Schulte hat keine Drei- Mark-Arbeit geleistet. Die Mitarbeiterinnen von Pottporree halten nichts von solchen „Probeläufen“. „Wir wollen die Frauen motivieren, sie stabilisieren und aus der Sozialhilfe herausholen“, sagt Sozialpädagogin Ingeborg Schopf, „dafür ist eine solche Arbeit nicht sinnvoll.“
Die Abbruchquote bei Pottporree ist gering. Auch Miriam Schulte denkt nicht im Traum daran, ihre Arbeit abzubrechen. Zwar will sie längerfristig aus der Küche raus, „doch auf eine Umschulung brauch ich erst mal einen Anspruch. Ich bin froh, daß ich diese Chance habe.“ Sabine am Orde
* Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen