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„Kein Mann kam bislang vor Gericht“

■ Burkhardt Gnärig von terre des hommes zur Kinderprostitution

taz: Mehr als eine Million Kinder auf der Welt werden jedes Jahr in die Prostitution gezwungen, schätzt man. In Thailand bieten 200-300.000 Mädchen und Jungen unter 16 Jahren ihre Körper an, auf den Philippinen und in Taiwan je etwa 100.000, in Indien 400.000. Heute ist Weltkindertag. Ihre Organisation hat vor einem Jahr verstärkt gegen Kinderprostitution mobil gemacht. Hat sich etwas verbessert?

Burkhardt Gnärig:Die Lage ist nach wie vor katastrophal. Die Kinder werden von Eltern und Verwandten regelrecht verkauft, manchmal auch schlicht aus den Dörfern entführt. Zum Teil werden sie wie Sklaven gefangengehalten. In Thailand ist in einem besonders tragischen Fall ein Bordell abgebrannt, die dort lebenden Kinder waren mit Handschellen an ihre Betten gefesselt und sind im Feuer umgekommen.

Terre-des-hommes-Mitarbeiter haben bei ihren Aktivitäten gegen den organisierten Sextourismus u.a. Reiseunternehmern Bordelleingänge als Bühnenbilder vor die Türen gestellt. Hat Ihre Kampagne irgendeinen Erfolg gehabt?

Ja, wenn auch langsam. Nach zweijährigen Verhandlungen ist es uns jetzt gelungen, die großen deutschen Reiseveranstalter dazu zu bewegen, eine Vereinbarung zu unterschreiben: Darin willigen sie erstens ein, daß Hotels, in denen Kinderprostitution stattfindet, aus dem Programm gestrichen werden. Zweitens müssen Reiseleiter künftig umfassend über Kinderprostitution geschult werden. Drittens soll den Touristen klargemacht werden, daß es sich nicht um ein Kavaliersdelikt handelt, sondern um ein Verbrechen mit sehr brutalen Folgen für das Kind.

Seit dem 1. September 1993 gilt in der Bundesrepublik ein Gesetz, das Strafverfolgung hier ermöglicht, auch wenn der Mißbrauch von Kindern im Ausland stattgefunden hat. Hat sich dadurch etwas geändert?

Seitdem ist kein einziger deutscher Mann vor Gericht gestellt worden. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, daß Rechtshilfeabkommen mit den betroffenen Ländern fehlen. Die Bundesregierung weigert sich bisher, unserer Forderung nach derartigen Abkommen nachzukommen. Begründung: das sei überflüssig.

Wird die Kinderprostitution denn in den jeweiligen Ländern strafrechtlich verfolgt?

Viele sind inzwischen strikter. Gerade Organisationen in Südostasien haben zum Teil erfolgreich darauf gedrängt, daß die Gesetze verschärft und auch durchgesetzt wurden. In Manila und Bangkok arbeiten inzwischen speziell ausgebildete Polizeieinheiten. Es ist also heute tatsächlich für einen Touristen riskanter, ein Kind zu mißbrauchen, als vor drei Jahren. Er kann sich ganz schnell im Gefängnis wiederfinden. Gerade an dieser Stelle ist das neue deutsche Gesetz kontraproduktiv. Wir haben den Eindruck, daß es von seiten der deutschen Botschaften eher dazu benutzt wird, Deutsche aus den dortigen Gefängnissen rauszuholen und nach Deutschland zurückzuschicken mit der Begründung, der Täter werde hier vor Gericht gestellt, was dann aber nicht passiert. Es geht natürlich nicht an, daß dies das Ergebnis unserer Bemühungen ist. Interview: Jeannette Goddar

Burkhardt Gnärig ist Geschäftsführer des Kinderhilfswerkes terre des hommes

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