: Kunst-House und Kabarett
■ Neun Hamburger Künstlergruppen bei der „Woche der bildenden Kunst“
„Sei dabei!“ kumpelt die diesjährige Woche der bildenden Kunst die Szene an. Neun Hamburger Künstlergruppen und ihre internationalen Gäste demonstrieren an elf verschiedenen Plätzen in Hamburg einen Monat lang aktuelle Kunst. Ausgesucht wurden Gruppen, die unter einem kollektiven Label an neuen Vermittlungsformen arbeiten: Dank, Fem, Friedensallee 12, -Innen, Internett, Kulturverein, Neid, PBK und weltbekannt e.V..
Die Veranstaltungsreihe gibt diesen höchst unterschiedlichen Initiativen ein Forum, zwingt aber auch zu einem teils unangemessenen Ereignischarakter. Denn alternative Drucksachen wie Neid oder Dank sind nicht für Ausstellungen gemacht, sondern versuchen, trotz verschwindend geringer Auflagen, auf medialem Weg ihre Öffentlichkeit zu erreichen. Deshalb hat die taz auch für mehrere Donnerstage den beteiligten Gruppen eine Seite zur Gestaltung überlassen (Neid machte letzte Woche den Anfang, morgen folgt Internett).
Gemeinsam ist allen Beteiligten die bereichsübergreifende Arbeit: Markt-Strategie, Kunst im herkömmlichen Sinn und Kunst-Vermittlung sind dabei gleichgewichtig. Ein gutes Beispiel dafür ist die Friedensallee 12: Silvana Toneva und Christian Jankowski arbeiten und leben als Künstler wie als Kunst-Vermittler in einem kleinen Ladenraum. Hier präsentieren sie ein Videoprojekt, in dem 35 Künstler auf die Situation Innen-Außen eingehen und projizieren ab 20 Uhr die Filme auf das Schaufenster.
Für das umfangreiche Gesamt-Programm von Sei dabei müssen hier einige herausgegriffene Events stehen: Die Frauenmedienarbeitergruppe -Innen geht im Offenen Kanal mit vier einstündigen Live-Shows aus dem Westwerk auf Sendung, jeweils mittwochs 21 Uhr, beginnend heute. In der Töpferstube in den Wallanlagen ist das Projekt Wir fahren für Bakunin zu Gast, in der die Aktualität des Anarchisten konzeptuell beschworen wird, und weltbekannt e.V. betreibt auf der U-Bahn-Station „Mess-berg“ von 16-20 Uhr einen Kunstkiosk. Mit Plakaten zum Thema Verfolgung, Migration und „ethnische Sauberkeit“ provoziert unter den Gästen besonders die New-Yorker Gruppe cheap Art.
Doch deren radikal politische Arbeit ist als Extrempunkt bei Sei dabei eher die Ausnahme. Vieles erinnert im zeitgemäßen Mantel an die vergnügliche Selbstspiegelung einer neuen brotlosen Boheme, die sich fragt, ob es denn ein Leben jenseits von House-Parties gibt. Da lehrt der falsche Prophet John Bock seine Nonsense-Theorie, da benutzt der alternative Musikverleger Uli Rehberg als „Dr. Kurt Euler, Vorsitzender der Sonderkommission für Fragen der Volksbildung und des Kulturkampfes beim ZK der Kommunistischen Einheitspartei Deutschlands“ die Form des Katalogvorworts zur ironischen Kunstbeschimpfung. Mitunter liegt das Niveau einiger frisch den Akademiekellern entfleuchten Aktivitäten auf der Ebene von Schülerwitzen. Doch sowas ist vielleicht eine notwendige Begleiterscheinung der Suche nach neuen, zeitgemäßen Umgangsweisen mit Kunst, die ihren Beinamen „bildend“ irgendwo zwischen kabarettistischen Aktionen und ernstgemeintem Jung-.unternehmertum mit dem Blick auf Wirtschaftsförderung neu zu bestimmen sucht.
Hajo Schiff
„Sei-Dabei-Infopool“: Information über alle Veranstaltungen ab heute bis 8. Oktober von 19-22 Uhr im Westwerk, Admiralitätstr. 74
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