piwik no script img

Verlorene im Grenzbunker

■ Rolle rückwärts in den Manierismus. Zwei neue Zeitstücke: Gundi Ellerts „Jagdzeit“ in München, Heidi von Platos „Der elektrische Reiter“ in Konstanz

Eine Grenze, ein Bunker, ein kleines Dorf. Von der anderen Seite der Grenze kommen Flüchtlinge, aber Bürgermeister Lenz, Unternehmer Reiser und die anderen Untertanen aus der Grenzprovinz, die sich als Herrenmenschen gebärden, wollen das Ding schaukeln. Es sieht aus, als seien sie auf Schweinejagd, sie sind aber hinter Menschen her. Was sie nicht ahnen: Die marodierende Bande, die ihre Häuser leerräumt, kommt aus den eigenen miefigen Wohnzimmern, es sind ihre Kinder, die den Bunker, diesen Ort deutscher Geschichte, vollscheißen und hinterher in die Häuser der Eltern einbrechen. Die Grenze ist mit Fuchsfallen vermint, ein junges Mädchen gerät hinein und wird von den marodierenden Jugendlichen gefunden. Vor zwanzig Jahren wäre die stumme Sophia noch als Opfer des kapitalistischen Systems hochgepäppelt worden, heute schleppen die Jugendlichen sie in den Bunker und quälen sie weiter. Über allem schwebt ein antikes Fatum, Aggression, Gewalt, Korruption und Machtmißbrauch zeugen sich fort.

Bandenführer Robert zieht am Ende das erbeutete Geld ab, wird rechte Hand eines rechtsextremen Demagogen und könnte der Partei der bieder volkstümelnden Honoratioren gefährlich werden. Parallelen zu DVU, Reps und CDU/ CSU sind unübersehbar, man kann das inszenieren, muß es aber nicht. Matthias Hartmann, der als wichtiger Nachwuchsregisseur gilt und „Jagdzeit“ in München zur Uraufführung brachte, hält diese direkten politischen Bezüge im Hintergrund, und man wartet darauf, daß er statt dessen den Verkrümmungen der Jugendlichen nachspürt – man wartet vergeblich, denn auch das interessiert ihn nicht: Hilfsarbeiterin Kathi etwa führt er penetrant als Dorfidiotin vor; er wagt sich nur mit einem Schutzschild vorgefertigter Bilder an dieses Stück.

Hartmann entschärfte die „Jagdzeit“. Einen Tag zuvor tat Elias Perrig in Konstanz das gleiche mit Heidi von Platos „Der elektrische Reiter“, einer weiteren Uraufführung, die sich ans zeitkritische Theater wagte. Die äußeren Bedingungen der Inszenierungen könnten nicht unterschiedlicher sein – in München drängt sich das Premierenpublikum im schicken Residenztheater, während in Konstanz ein ehemaliger Ausbesserungsschuppen der Bundesbahn fast im Rohzustand bespielt wird – in den Stücken jedoch gibt es frappierende Parallelen.

In beiden geht es um Orientierungslosigkeit, Suche nach Gruppenzugehörigkeit und zunehmende Bereitschaft zu verbaler und körperlicher Aggressivität bei Jugendlichen; wie in „Jagdzeit“ spielt auch in „Der elektrische Reiter“ der Archetypus des Bandenführers eine zentrale Rolle, anders als bei Gundi Ellert bleibt seine politische Ausrichtung jedoch im Ungefähren. Er reproduziert Versatzstücke einer Wir-Ideologie, was Anreiz sein könnte, hinter seine Maske zu blicken.

Regisseur Elias Perrig setzt von Platos teilweise gekünsteltem Text noch eine Maske auf. Bandenführer Bomber ist eine Kreuzung aus Bruce Lee, Arnold Schwarzenegger und hysterischer Mickymaus, Babystricherin Ork versucht sich als Marilyn Monroe, und die Jüdin Judith spreizt blasiert die rechte Hand. Intelligenz soll das signalisieren, sieht aber aus, als sei sie direkt einem manieristischen Gemälde der Spätrenaissance entstiegen. Auch im „Elektrischen Reiter“ gibt es einen Fremden, kaum der Sprache mächtig und ohne Gedächtnis. In der Stückfassung sagt er von sich, er komme aus Moskau, was man in der Uraufführung gestrichen hat, so daß er zum ortlosen Kaspar Hauser wurde, der dazugehören will, indem er die Rituale und verbalen Kraftakte Bombers imitiert.

Elias Perrig jedoch hat alles, was als Provokation gelesen werden könnte, als Attitüde inszeniert und ging wie Matthias Hartmann vor einem Text in die Knie, der Realität simulierende Jugendliche zeigt, die simulierend verwildern. Eine Rolle rückwärts in den Manierismus wurde daraus, während in München ein Salto mortale in die Kraftmeierei zu bestaunen ist. Die „Jagdzeit“-Honoratioren kommen als sauber inszenierte Abziehfiguren, mit den verwirrten Jugendlichen konnte Hartmann noch weniger anfangen, so daß einige völlig untergehen. Am Ende will Gundi Ellert, daß die Loser der Bande zusammen mit dem Opfer Sophie im Bunker eingemauert werden. Ein etwas angestrengtes Bild für die deutsch-deutsche Gegenwartsverdrängung. In München muß an dieser Stelle dazu auch noch hohl tönend der eiserne Vorhang niedergehen. Das Theater läßt die Muskeln spielen, während mit „Jagdzeit“ ein Stück zur Verfügung steht, das der Gegenwart gefährlich nahe rückt. Jürgen Berger

Gundi Ellert: „Jagdzeit“. Regie: Matthias Hartmann. Bühne: Momme Röhrbein. Mit Jan-Gregor Kremp, Patrizia Schwöbel, Johanna Gastdorf und anderen Bayerisches Staatsschauspiel. Weitere Vorstellungen: 2., 17., und 22. Oktober

Heidi von Plato: „Der elektrische Reiter“. Regie: Elias Perrig. Bühne und Kostüme: Beate Faßnacht. Mit Miriam Japp, Anna Schmidt, Horst Kiss, Daniel Ris. Theater Konstanz. Weitere Vorstellungen: 23., 24., 28., und 30. September

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen