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„Eine Schande für diese Stadt“

■ Prominente kritisieren Praxis der Ausländerbehörde / Hamburg schiebt am zweithäufigsten ab / Hoffnung auf neuen Innensenator Von Kaija Kutter

Günter Grass, Will Quadflieg, Henning Venske, Hannelore Hoger, Volker Lechtenbrink: An die 60 namhafte Künstler, Pastoren und Schriftsteller haben gestern einen „Aufruf gegen die Abschiebepraxis in Hamburg“ gestartet.

Anlaß: Hamburg hat seine Abschiebe-Quote im vergangenen Jahr von rund 1600 auf 2400 fast verdoppelt, steht bundesweit hinter Brandenburg an zweiter Stelle. Statt „Kann-Bestimmungen“ und „Spielräume“ des neuen Asylgesetzes zu nutzen, schöpfe die Hansestadt alle Möglichkeiten, gegen Flüchtlinge „repressiv vorzugehen“, voll aus, heißt es in dem Aufruf, der ab sofort auch in allen Theatern zur Unterschrift aushängt (s. Kasten).

Bei einer derartigen Steigerung der Abschiebungen sei „eine korrekte Einzelfallprüfung nicht mehr möglich“, sagte Initiatorin Anne Harms von amnesty international. Immer mehr Flüchtlinge, die zur Beratung kommen, trauten sich nicht in die Ausländerbehörde, weil sie ihre Verhaftung befürchten müßten. Auch dann, wenn ihr Gerichtsverfahren noch läuft.

Die hohe Abschiebezahl sei „keine Heldentat, sondern eine Schande für diese Stadt“, sagte der Rechtsanwalt Hartmut Jacobi, der seine alltäglichen Erfahrungen mit der Ausländerbehörde schilderte. Der Umgang mit Betroffenen sei „roh und beleidigend“, weiße Frauen, die einen Schwarzen heiraten wollen, seien „sexistischer Anmache“ ausgesetzt, „Schüblinge“ in den Haftanstalten würden mit Psychopharmaka gefügig gemacht.

Er habe sich der Kampagne angeschlossen, obgleich er auf das Wohlwollen der Ausländerbehörde angewiesen sei, sagte der Anwalt. „Ich gehe davon aus, daß die Mitarbeiter der Behörde wissen, wer gemeint ist und wer nicht.“ Ebenso wie bei der Polizei müsse auch hier die Einsicht wachsen, „daß etwas geändert werden muß“.

Und in Anspielung auf den taz-Bericht über den letzten Amtstag von Senator Hackmann forderte der Initiativen-Sprecher eine „schonungslose Aufklärung“ dessen, was der Leiter der Ausländerabteilung Peter Dauer seinen Vorgesetzten an Schikanen von Mitarbeitern berichtet habe.

Vielleicht biete ein neuer Innensenator die Chance, daß die Abschiebung in dieser Stadt „humaner“ gehandhabt wird, sagte Schauspielhaus-Intendant Frank Baumbauer, in dessen Haus die gestrige Pressekonferenz stattfand. Bei Vorgänger Hackmann, so Baumbauer, sei er mit dieser Forderung auf „taube Ohren“ gestoßen. Der Unterzeichnerkreis hat für den 7. Oktober eine Podiumsdiskussion im Museum für Völkerkunde anberaumt, bei der der neue Innensenator Wrocklage und Einwohnerzentralamtschef Ralph Bornhöft Rede und Antwort stehen sollen.

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