: Der schöne Männersport
DFB-Pokal: 1. FC Kaiserslautern – Borussia Dortmund 6 : 3 nach Verlängerung / Rabaukentreffen auf dem Betzenberg ■ Aus Kaiserslautern Günter Rohrbacher-List
Der 20. September 1975 war ein Glückstag für die Dortmunder Borussen. Lothar Huber, vorher für den 1. FCK tätig, schoß den 2:1-Siegestreffer im Spiel der 2. Liga Nord gegen Alemannia Aachen. Am Ende der Saison feierte ganz Dortmund den Wiederaufstieg in die Bundesliga nach vier mageren Jahren. 19 Jahre später wähnten sich die Borussen nach dem 2:1-Führungstreffer von Flemming Povlsen in der 58. Minute bereits im Achtelfinale des DFB-Pokals. Doch eine Minute vor Schluß der regulären Spielzeit kam dem 1. FCK die Hand des Bodo Schmidt im eigenen Strafraum zu Hilfe. Andreas Brehme schoß die „Roten Teufel“ per Strafstoß in die Verlängerung.
Auf dem Betzenberg hatten sie fast vier Jahre lang auf ein Pokalheimspiel warten müssen. Damals, im Oktober 1990, nur wenige Monate nach dem Cupsieg gegen Werder Bremen, war der 1. FC Köln durch ein Tor von Maurice Banach als 2:1-Sieger vom Platz gegangen. Und fortan setzte es ein Auswärtsspiel nach dem anderen, und immer war irgendwann irgendwo in der Fremde Schluß. Da war die Freude groß über die Heimpartie gegen die Dortmunder, aber viele hatten auch noch das 1:2 aus der kürzlich stattgefundenen Bundesligabegegnung in Erinnerung. Und die Dortmunder agierten auf dem Betzenberg wie eine Spitzenmannschaft, mit einem genialen Libero Matthias Sammer und einem überaus fleißigen Julio Cesar.
Doch es blieb Andreas Möller vorbehalten, dem lebhaften Spiel seinen Stempel aufzudrücken und die Rolle der Reizfigur zu übernehmen. Sein Ellenbogencheck gegen Ciriaco Sforza hatte eine Rippenprellung des Lauterer Spielmachers und seine Auswechslung zur Folge, und fortan wälzten sich wie auf Befehl im Minutentakt Spieler beider Mannschaften mit schmerzverzerrten Gesichtern, die Hände an den malträtierten Beinen, auf dem Boden. Zehn gelbe und eine gelb-rote Karte zeugen von einem ultimativen Pokalfight ohne Wenn und Aber. Es schien fast, als wähnten sich die zahlreichen Rabauken auf dem „Soldier Field“. Gespielt wurde indes kaum. Bis zur 35. Minute, als Andreas Brehme einen Black-out hatte und Stéphane Chapuisat nach Flanke von Povlsen das 0:1 erzielte. Drei der gelben Karten gab es für Lauterer Spieler nach Fouls an Andreas Möller, der meist provozierend lange den Ball am Fuß hielt und sich an den Pfiffen und schmutzigen Sprechchören aus der Westkurve förmlich delektierte.
Doch die Arroganz des Wieder- Dortmunders wurde nur drei Minuten nach der Pause bestraft. Dirk Anders glich mit einem satten Schuß aus. Dabei verletzte er sich aber so, daß auch er die Dienste der Männer in Grau in Anspruch nehmen mußte. Wiederum geriet der 1. FCK in Rückstand und hatte sich nach glücklosem Anrennen schon fast aufgegeben. Doch dann kam Brehme ...
Und auch in der Verlängerung wurden die Pfälzer kalt erwischt. Der überall zu findende Sammer (FCK-Trainer Friedel Rausch: „Der beste Deutsche auf dem Liberoposten“) wagte einen Schuß, und der alte Abstand war wiederhergestellt. Doch die Dortmunder, die ab der 80. Minute ohne den des Platzes verwiesenen Thomas Franck auskommen mußten, begingen in der Deckung fatale Fehler und machten den (an)geschlagenen 1. FCK stark. Nur zwei Minuten später knallte Miroslav Kadlec den Ball zum 3:3 ins Netz. Elfmeterschießen, auch das noch, dachte fast jeder. Doch die Lauterer hatten nach den Erfahrungen von Bremen im letzten Jahr die Schnauze voll vom Roulettespiel mit dem Ball. In der 102. Minute hielt der Dritte im Bunde der ernsthaft verletzten FCKler, Olaf Marschall, seinen Fuß an eine Brehme-Flanke – 4:3. Den schönsten Spielzug trotz Sammer und Möller krönte Pavel Kuka nach einer genau getimten Flanke von Marco Haber mit dem entscheidenden 5:3. Eine Minute vor Schluß folgte Martin Wagners 6:3, das aber dem Spielverlauf nicht mehr entsprach. Am Rande des Spielfelds lieferten sich auch die beiden Trainer hitzige verbale Kämpfe. Da machte Ottmar Hitzfeld eine abfällige Handbewegung gegen den total aufgebrachten Friedel Rausch, der einen Wutausbruch nach dem anderen bekam. Am Ende stand jedoch die beiderseitige Erkenntnis, dies seien sie beide aus ihrer Schweizer Zeit gewöhnt. „Die Härte ist nun mal Bestandteil unseres schönen Männersports“, resümierte Rausch und freute sich schon diebisch auf das nächste Pokalmatch im Fritz-Walter-Stadion gegen Fortuna Köln.
Borussia Dortmund: Klos - Sammer - Schmidt, Cesar - Reuter, Zorc, Möller, Freund (108. Riedle), Reinhardt - Chapuisat, Povlsen (72. Franck)
Zuschauer: 30.000; Tore: 0:1 Chapuisat (38.), 1:1 Anders (48.), 1:2 Povlsen (57.), 2:2 Brehme (88./Handelfmeter), 2:3 Sammer (93.), 3:3 Kadlec (99.), 4:3 Marschall (101.), 5:3 Kuka (114.), 6:3 Wagner (119.)
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