: Wer hat uns verraten ...
In den 70er Jahren unterstützten Schwedens Sozialdemokraten Südafrikas Anti-Apartheid-Kämpfer. Aber durch eigene Dummheit lieferten sie auch etliche ihrer Freunde ans Messer. ■ Von Reinhard Wolff
Vor 17 Jahren wurde der südafrikanische Schwarzenführer Steve Biko verhaftet und im Gefängnis zu Tode gefoltert. Leben und Sterben des Freiheitkämpfers sind durch Donald Woods Buch „Biko“ und den Film „Cry Freedom“ so etwas wie ein Symbol des Anti-Apartheid-Kampfs geworden. Was in Buch und Film fehlt, ist, wie Südafrikas Polizei eigentlich zu ihren „Beweisen“ für Bikos „staatsfeindliche“ Tätigkeit gekommen war. Das läßt sich aus neuen Dokumenten konstruieren, die jetzt in Schweden veröffentlicht wurden. Bikos Mord wurde offenbar durch seine Kontakte zu einer von Südafrika unterwanderten Geheimorganisation europäischer Sozialdemokraten möglich.
1962 starteten mehrere Parteien der Sozialistischen Internationale den „International University Exchange Fund“ (IUEF) – eine Organisation, die sich von einer Stipendiatenkasse für Flüchtlinge aus dem südlichen Afrika zu einem geheimen Kanal materieller und informatorischer Hilfe der europäischen Sozialdemokratie für den illegalen Freiheitskampf der Schwarzen in Südafrika entwickelte. Durch diesen Kanal wurden nicht nur Gelder an die Anti-Apartheid-Bewegung geleitet – die IUEF war bis hin zu Planungen der Ziele von Sabotageanschlägen des ANC und anderer Organisationen beteiligt. Die sozialdemokratischen Parteien Schwedens, Dänemarks, Norwegens und Hollands standen für den Hauptteil des Budgets der IUEF ein. 1974 stufte eine interne südafrikanische Untersuchungskommission, die Schlebusch-Kommission, die IUEF als einen der gefährlichsten Auslandsfeinde des Landes ein. Pretoria begann massiv und erfolgreich die IUEF zu unterwandern, die „Operation Daisy“ begann.
Südafrikas geheime „Operation Daisy“
Die IUEF war zunächst von dem norwegischen Sozialdemokraten Öystein Opdahl geleitet worden. 1965 wurde der damals 22jährige Schwede Lars-Gunnar Eriksson sein persönlicher Assistent und übernahm schnell die eigentliche Führung. Die Mutterorganisation der IUEF, die „International Student Conferens“ (ISC), wurde 1969 aufgelöst, nachdem sich herausgestellt hatte, daß der US-Geheimdienst CIA sie massiv unterwandert hatte. Die IUEF konnte weiterleben; sie verlegte lediglich den Sitz der Organisation vom holländischen Leiden nach Genf – wieweit auch hier der CIA seine Finger im Spiel hatte, ist eine offene Frage.
Unter Lars-Gunnar Erikssons Leitung entwickelte sich die IUEF zu einer in Südafrikas Augen offen feindlichen Organisation. Eriksson in einer Rede in Oslo 1973: „Für manche Gruppen ist ein nichtpolitischer Beistand notwendig. Befreiung und Revolution müssen von innen heraus kommen. Es ist nicht wünschenswert, daß die politisch Bewußten ins Exil gehen. Das bedeutet, daß wir gesteigerte und effektivere Hilfe hinter den Feindeslinien geben müssen.“
Pretoria setzte auf die IUEF Craig Williamson an – „den Mann, der James-Bond-Geschichten wie Kinderspiele aussehen läßt“, wie Zeitungen nach seiner Enttarnung schrieben. Schon als Studentenpolitiker in Kapstadt hatte Williamson als Polizeiagent gearbeitet. Die Sicherheitspolizei erblickte damals in der „Südafrikanischen Studentengewerkschaft“ (NUSAS) eine gefährliche Anti-Apartheid-Zelle; Williamson gelang es, in die Führung zu kommen und wurde für die Finanzen verantwortlich. Die NUSAS war ein wichtiger Kanal, durch den IUEF-Gelder nach Südafrika flossen. Für die IUEF stellte sich Williamson als zuverlässiger und effektiver Regimegegner dar. So machte ihm Eriksson 1976 ein Angebot zur direkten Mitarbeit – obwohl die Organisation gerade aus Furcht vor Unterwanderung ansonsten die strikte Linie beibehielt, keine politischen Flüchtlinge anzustellen.
Lars-Gunnar Eriksson nach einem persönlichen Treffen mit Williamson in Botswana in seinen eigenen Aufzeichnungen: „Wir kamen überein, daß er für unsere Drucksachenproduktion verantwortlich sein sollte und an unserem ganzen Südafrika-Programm arbeiten würde. Er will das Land Ende des Jahres illegal über Botswana verlassen. Wir wollen untersuchen, ob es für seine Frau in Genf oder in der Nähe Möglichkeiten für ein Medizinstudium gibt.“ Williamson inszenierte Anfang Januar 1977 eine wilde Fluchtgeschichte, wonach er nur um Haaresbreite der südafrikanischen Geheimpolizei entkommen sei. Im IUEF-Hauptquartier arbeitete er so vorbildlich, daß er bald zum Vizedirektor und damit zu Erikssons rechter Hand wurde. Als Spion arbeitete er ebenso effektiv und zielbewußt: Er hörte Telefongespräche mit und übermittelte den Inhalt aller wichtigen Briefe und Dokumente nach Pretoria.
Im brodelnden südafrikanischen Millionentownship Soweto war seit der Schülerrevolte von 1976 die von Steve Biko geführte „Black Consciousness Movement“ die politisch führende Bewegung. Verboten war sie noch nicht, anders als der ANC. Südafrikas Geheimpolizei schlug gegen Biko im Herbst 1977 zu, als die IUEF gerade die Fäden für ein geheimes Treffen in London zwischen ihm und Oliver Tambo, dem ANC- Führer im Exil, zog, um die beiden Organisationen zusammenzubringen. Die IUEF organisierte zum Schein eine Vortragsreise für Biko durch England und hatte schon die Flugtickets gekauft. Kurz vor der geplanten Ausreise wurde Steve Biko von der südafrikanischen Polizei verhaftet.
Man kann zwar nur spekulieren, wie sich eine breite Einheitsfront der verschiedenen Anti-Apartheid-Organisationen zum damaligen Zeitpunkt auf diesen Kampf ausgewirkt hätte. Sicher ist aber, daß eine völlig neue Zusammenarbeit zwischen den Exilorganisationen im Lande selbst dem Anti- Apartheid-Kampf einen Aufschwung beschert hätte. Bei dem Scheinprozeß, der nach Bikos Ermordung am 12. September 1977 gegen die zuständigen Sicherheitspolizisten geführt wurde, gab der Leiter der Verhöre mit Biko, Major Snyman, eine Einschätzung zu Protokoll, die wohl der des gesamten Sicherheitsapparates entsprach: „Eine breite revolutionäre Front war in Vorbereitung, mit dem ANC und dem PAC (Pan Africanist Congress) als Terroristenorganisationen auf der einen Seite und auf der anderen den zugelassenen Organisationen Unity Movement of South Africa und der BPC (Black Peoples Convention, der politische Flügel der Black Conciousness Movement). Wir hatten Hinweise, daß Mr. Biko auf einer bevorstehenden Auslandsreise diese Front bilden wollte.“
Bei der IUEF klingelten nach Bikos Verhaftung keine Alarmglocken. Eine Kommission, bestehend aus Bertil Zachrisson, später sozialdemokratischer schwedischer Kultur- und Schulminister, Sundie Kazunga, Ratgeber von Sambias Präsident Kaunda, und David MacDonald, ehemaliger kanadischer Außenminister, die sich nach Williamsons Enttarnung mit der Infiltration der Organisation befaßte, schrieb in ihrem erst jetzt bekanntgewordenen Rapport: „Die IUEF scheint nach Bikos Tod keine großen Anstrengungen darauf verwendet zu haben, zu klären, ob es irgendeinen Zusammenhang gab zwischen der Tatsache, daß er von IUEF unterstützt wurde und mit ihr Verbindung hatte, und der Tatsache seiner Verhaftung und Ermordung durch Südafrikaner.“ Und: „Es wurde für uns klar, daß Williamson in die IUEF aufgenommen wurde und in ihr aufsteigen konnte, obwohl es von verschiedenen Seiten Bedenken gab und gezielte Hinweise, daß er Agent der südafrikanischen Regierung sein könnte.“
Selbstkritik innerhalb der IUEF kam auch nicht auf, nachdem Williamson Anfang 1980 enttarnt wurde. Kritik wurde unter den Teppich gekehrt: Im Mai 1980 landete über Schwedens Botschafterin in Botswana, Irene Larsson, ein als „streng vertraulich“ gezeichneter Text zweier Journalisten bei der von der IUEF wirtschaftlich unterstützten unabhängigen botswanischen Nachrichtenagentur South African News Agency (SANA) in Stockholm. Titel: „Bikos Tod und die Rolle der IUEF“. SANA hatte die Botschafterin um Vermittlung bei der Veröffentlichung des Textes in der schwedischen und westlichen Presse gebeten. Diese schaltete schnell und gab das heiße Papier – „ich bin unsicher über die beste Vorgangsweise“ – an das Außenministerium weiter. Dieses war sich gar nicht unsicher: eine Handvoll in die Südafrika-Geschichte eingeweihte Personen wurden informiert, anschließend verschwand der brisante Text mit einem „geheim“- Stempel im Archiv.
Von der ganzen IUEF-Führung gab es nur eine einzige Person, den sein schlechtes Gewissen nicht schweigen ließ. Der Däne Carl Nissen erklärte auf einer Veranstaltung in Holland in den achtziger Jahren öffentlich, daß er die IUEF und sich für mitschuldig am Tod von Steve Biko halte.
Selbstkritik verschwand im Staatsarchiv
Aber zurück in die 70er: Zunächst durfte Craig Williamson nach Bikos Ermordung noch weitere zweieinhalb Jahre ungestört spionieren. Er knüpfte Kontakte zu führenden skandinavischen PolitikerInnen, der Entwicklungshilfeorganisation SIDA und kirchlichen Beistandsorganisationen. Mit Hilfe von Dokumenten, die er über die IUEF beschaffte, wurde unter anderem der Wissenschaftler Renfrew Christie im Juni 1980 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Geheimnisse über das südafrikanische Atomprogramm und die Stromversorgung des Landes an den ANC und die IUEF weitergegeben haben sollte. Renfrew Christie war im Oktober 1979 beim Versuch einer illegalen Einreise nach Südafrika verhaftet worden. Den Tip dafür, wo man „sicher“ die Grenze überschreiten konnte, hatte er, so Patricia Bell, Lars- Gunnar Erikssons damaliger Sekretärin, von Williamson.
Für die IUEF war auch dies kein Grund zur Selbstkritik – obwohl die Zusammenhänge mehr als klar waren. Gustav Hamilton, Legationsrat an der schwedischen Botschaft in Pretoria und Beobachter des Prozesses gegen Renfrew Christie, schrieb in einem „geheim“ gestempelten Bericht ans Außenministerium in Stockholm: „Es wurden unter anderem Dokumente mit den Planungen von ANC und IUEF vorgelegt, sich Informationen über strategische Anlagen in Südafrika zu beschaffen. Die Dokumente waren zusammengestellt von Lars-Gunnar Eriksson, IUEF, Neville Rubin, Südafrikaner im Exil, und Dr. Frene Ginwala, ANC. Die Informationen sollten von Zellen, die voneinander keine Kenntnis hatten, eingesammelt werden.“ Zehn Tage später ein weiterer Rapport Hamiltons, mit dem „Eilt sehr!“-Stempel: Neue Dokumente hätten ergeben, daß „schwedische Behörden ein ganz klares Bild von der illegalen Tätigkeit des IUEF in Südafrika gehabt haben“. In Erwartung, ins südafrikanische Außenministerium bestellt zu werden, schwitzte der Diplomat bereits: „Das Risiko besteht, daß uns die Südafrikaner nach und nach nackt ausziehen.“
Eine Spur von Steve Biko zu Olof Palme?
Williamson konnte das sozialdemokratische Sprungbrett beinahe zu einem allergrößten Coup nutzen: Er sollte im 1980 zu eröffnenden Büro des ANC in Genf arbeiten, unter Leitung von Nelson Mandelas persönlicher Sekretärin Ruth Mompati. Lars-Gunnar Eriksson hatte Williamson seinen Vertrauten empfohlen. Der Agent sollte weiterhin von der IUEF bezahlt werden und als Verbindungsmann zwischen ihr und dem ANC arbeiten. Die Triumphfeier der südafrikanischen Geheimpolizei – ihr Spion mit Job beim ANC – darf man sich ausmalen.
Der britische Observer verhinderte mit einer Artikelserie über den südafrikanischen Sicherheitsdienst in letzter Minute diesen Triumph. Über Material von einem abgesprungenen Geheimagenten kam die Rede auf die IUEF: „Man [Südafrikas Geheimdienst] machte auch Versuche, herauszubekommen, wer hinter der IUEF stand. Man begann mit dem CIA und machte mit der Sozialistischen Internationale weiter.“ Wenige Tage nach diesen ersten Hinweisen war Craig Williamson plötzlich verschwunden. Sein Büro hatte er leergeräumt. Nach zwei Wochen meldete er sich telephonisch bei Lars-Gunnar Eriksson. Sie trafen sich in einem Hotel in Zürich, wo Williamson seine Spionagetätigkeit gestand und Eriksson mit Drohungen dazu bringen wollte, dichtzuhalten, bis Williamson in einem halben Jahr seinen „Auftrag erfüllt haben“ würde.
Mitten im Gespräch setzte sich eine dritte Person mit an den Tisch: Johan Coetzee, General und oberster Chef der südafrikanischen Geheimpolizei. Er wurde deutlicher: Williamson sei ihr bester Agent; werde er jetzt enttarnt, könnte Eriksson, seiner Familie oder „leitenden Sozialdemokraten“ etwas passieren. Eriksson versprach dichtzuhalten, fuhr nach Hause, verschaffte sich und seiner Familie eine geheime Wohnung und ließ Williamson über ein Interview mit dem britischen Guardian und eine Pressekonferenz in Stockholm am 22. Janaur 1980 auffliegen.
Eriksson erhielt bis Mitte der achtziger Jahre ständig Drohungen gegen sich, seine Familie und „leitende Sozialdemokraten“. Die letzte Drohung stammt aus dem Jahr 1986 – als Schwedens Ministerpräsident Olof Palme in einem bis heute unaufgeklärten Attentat ermordet wurde. Eriksson war bis zu seinem Tod 1990 überzeugt, daß Südafrika hinter dem Palme-Mord stand.
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