: Das Jawort für den Schein
Einwanderung über das Standesamt: Ausländer heiraten Deutsche, um hierbleiben zu können / Für den Trauschein wird bezahlt / Je wachsamer die Behörden, desto phantasievoller die Schein-Eheleute ■ Von Elke Eckert
Die Hochzeit war ohne Pomp. Nach dem Jawort schaute sich das Paar schüchtern in die Augen. Den Kuß deuteten die beiden nur an. Der Bräutigam warf einen verschämten Blick in die kleine Runde der Freunde, der von einem jungen Mann erwidert wurde. Der Standesbeamte merkte nichts. Der Regisseur von „Green Card“ hätte seine Freude gehabt.
Ehen zwischen Fremden, die dazu dienen, eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für den ausländischen Partner zu erhalten, sind in den USA eine Alternative zur Einwanderungsquotierung und der jährlichen Verlosung der green cards. Auch in Deutschland hat – bei fehlendem Einwanderungs- und faktisch abgeschafftem Asylrecht – dieser Rechtsmißbrauch bereits Tradition. Er ist, nicht zuletzt, deutsch-deutsche Geschichte: Der Kreuzberger Freak, der die ausreisewillige Leipzigerin ehelichte, hatte jedoch kaum strafrechtliche Schritte zu befürchten.
Nimmt eine Deutsche dagegen einen Kurden oder Palästinenser zum Mann, ist die Ausländerbehörde schnell zur Stelle. Die Wachsamkeit der Staatsdiener beflügelt indes die Phantasie der Heiratswilligen. Im Falle der eingangs erwähnten exjugoslawischen Staatsbürgerin fanden ihre deutschen HelferInnen eine besonders originelle Heiratsvariante. Der Ehemann von Milica* wird niemals „richtig“ heiraten: Er ist homosexuell. Mit seinem Freund ist alles abgeklärt. Die Überzeugungsarbeit bei Milicas Freund erwies sich als schwieriger. Der junge Mann ist konservativ erzogen, und er ist mit Milica schon zwei Jahre zusammen. Doch die junge Bosnierin, die wegen des Krieges im April 1992 nach Berlin floh, wollte den Schwulen und nicht ihren Freund heiraten: „Peter ist zwar zur Zeit mein Freund, aber weiß ich, ob sich das nicht irgendwann ändert?“
Über Heiraten hatten die beiden gesprochen, doch es wäre eine Zweckehe geworden. Die Zweckehe mit dem homosexuellen Freund hingegen erlöst Milica aus der extrem belastenden Situation als Flüchtling mit Duldungsvisum. Jetzt kann sie überallhin reisen und legal arbeiten: „Wenn ich Peter geheiratet hätte, würde ich mich unter Druck fühlen. Ich hätte Angst, im Falle eines Streits Vorwürfe zu bekommen oder sogar erpreßbar zu werden.“
Doris Pfeiffer-Pandey von der IAF (Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen) in Frankfurt gibt zu bedenken, daß auch Scheinehen „richtige“ Ehen sind: „Gütertrennung oder die Ablehnung von Unterhaltskosten und Versorgungsansprüchen gelten natürlich erst im Falle der Scheidung, während der Ehe ist das nicht möglich.“ Bafög und Sozialhilfeleistungen werden nicht mehr ausgezahlt, sobald einer der beiden Partner verdient. Sollte ein Partner durch Krankheit oder Unfall arbeitsunfähig werden, so muß der andere „wie in einer richtigen Ehe für ihn einstehen“.
Den prozentualen Anteil von Zweckehen unter den binationalen Ehen kann auch die IAF nicht einschätzen. Schätzungen von 50 oder 70 Prozent lägen aber in jedem Fall zu hoch und kämen, so Pfeiffer-Pandey, „von Leuten, die sowieso etwas gegen binationale Ehen haben“. Bekannt ist bei der IAF hingegen, daß „vor allem aus nordafrikanischen Ländern wie Marokko oder Algerien“ junge Männer versuchen, nach Deutschland einzuheiraten. Auch im Berliner IAF-Büro beklagt dessen Leiterin Tatiana Lima Eurvello die Trickserei manch eines afrikanischen Staatsbürgers: „Einige kommen schon mit einer Ledigkeitsbescheinigung nach Deutschland. Sie wissen genau, was sie hier brauchen, um heiraten zu können.“
Die IAF ihrerseits rät im allgemeinen von Scheinehen ab, da sie zu viele Komplikationen mit sich bringen. Gleichwohl äußert Pfeiffer-Pandey Verständnis für Ausländer, die versuchen, auf diesem Weg eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen: „Für die Bewohner außereuropäischer Länder, abgesehen von den USA, Kanada und der Schweiz, ist es unmöglich, auf legalem Weg einzuwandern. Alle Grenzen sind hermetisch zu.“ Die IAF fordert deshalb seit Jahrzehnten „eine wie auch immer geartete Einwanderungsquote“.
Michael lernte durch einen Freund eine Thailänderin kennen, die ihn ohne Umschweife fragte, ob er sie heiraten wolle. Ihr Angebot klang verlockend für den Sozialhilfeempfänger: 8.000 Mark wollte die junge Frau zahlen. Ihre Angehörigen hatten das Geld über Jahre zusammengespart, um sie nach Deutschland schicken zu können. Hier sollte sie heiraten und Geld verdienen, um nun ihrerseits die Familie aus der Ferne zu versorgen. IAF-Mitarbeiterin Pfeiffer-Pandey schätzt die Summen, die für solche Scheinehen bezahlt werden, auf durchschnittlich 5.000 bis 10.000 Mark.
Michael willigte in den Handel ein, und die Hochzeit fand statt. Er vermutet allerdings, daß das Ausländeramt dem thailändisch-deutschen Paar auf der Spur ist: „Bei der Heirat auf dem Standesamt haben wir uns kaum Mühe gegeben, irgendwie ,echt‘ zu wirken. Ich kam in Jeans und Bomberjacke, und sie war auch nicht gerade im Hochzeitskleid.“ Mehr noch dürfte die Ausländerbehörde gewundert haben, daß die beiden wenige Wochen nach der Heirat das sogenannte Trennungsjahr amtlich bekanntgaben. In einem Jahr wollen sie sich wieder scheiden lassen. Kurze Zeit nach der Vermählung hatte die Thailänderin einen anderen Mann kennengelernt – der sie aus Liebe und nicht für Geld geheiratet hätte.
Neza, eine Freundin Milicas, lernte ihren zukünftigen Ehemann in einer Kreuzberger Kneipe kennen. Die bosnische Serbin hat – wie ihre Freundin – Angst davor, demnächst wieder in die zerbombte Heimat zurückgeschickt zu werden, in der sie für sich keine Lebens- und Arbeitsperspektive mehr sieht. Das Angebot des jungen Mannes, sie zu heiraten und ihr damit eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu verschaffen, nahm sie sofort an, denn Sven erbot sich, diese Gefälligkeit ohne finanzielle Gegenleistung zu erbringen. Er kommt aus der autonomen Szene Kreuzbergs, in der Heiraten gewöhnlich kein Thema ist. Die Ehe mit einer Fremden aber schmeichelt dem Ego. Sven: „Damit kommt man in der Szene gut an.“ Political correctness unter Autonomen: einerseits Solidarität zeigen und andererseits die Ausländer- und Asylpolitik unterlaufen.
Bei Verdacht auf Scheinehe bleibt die Ausländerbehörde natürlich nicht untätig. Neben nächtlichen oder morgendlichen Hausbesuchen, Befragung der Nachbarn, der Eltern oder des Arbeitgebers werden die Paare auch aufs Amt vorgeladen und dort getrennt interviewt. Wird eine Scheinehe festgestellt, verfällt die Aufenthaltserlaubnis für den ausländischen Partner, die in den ersten vier Ehejahren an den Bestand der Ehe gekoppelt ist. Während dieser Zeit muß nämlich nach dem Ausländergesetz eine „eheliche Lebensgemeinschaft“ in der Bundesrepublik bestanden haben.
Das Regierungspräsidium in Leipzig indes beschritt neue Wege, um dem Mißbrauch des Gesetzes vorzubeugen. Karin Pergold, Leiterin des dortigen IAF-Büros, war aufgefallen, daß viele binationale Paare in ihrer Sprechstunde erwähnten, der ausländische Partner habe nur eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr erhalten. Im Ausländergesetz stehe aber, daß ihnen „in der Regel eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis“ zu erteilen sei. Im Sommer wurde der IAF dann ein internes Schreiben des Landratsamtes Leipzig an die Standesämter zugespielt. Der Unterzeichner der Rundschreiben bat darum, bei einem Aufgebot mit Ausländern „generell die Ausländerbehörde zu informieren“, und zwar mit allen Personalien. In einem Merkblatt führte der Beamte mögliche Hinweise auf eine Scheinehe auf. Neben Asylbewerbern richte sich der Verdacht vor allem gegen Frauen und Männer aus Entwicklungsländern. Weitere „Indizien“: illegaler Aufenthalt in der Bundesrepublik, sprachliche Verständigungsschwierigkeiten zwischen den „Verlobten“ oder ein „außergewöhnlicher Altersunterschied“.
„Kommen Sie aufgrund Ihrer Ermittlungen zu der Überzeugung, daß eine Scheinehe beabsichtigt ist, so lehnen Sie die Anordnung des Aufgebots oder die Vornahme der Eheschließung mündlich ab“, hieß es in dem Rundschreiben weiter. „Nur auf Verlangen der Verlobten“ solle ein schriftlicher Bescheid verschickt werden. In einem weiteren Rundschreiben empfahl das Landratsamt den Standesbeamten noch eine unauffälligere Variante: Bei Verdacht auf Scheinehe sei die Aufgebotsniederschrift zunächst aufzunehmen, dem Paar aber nach einer Woche mündlich die Ablehnung des Aufgebots mitzuteilen. Nur wenn das Paar darauf bestehe, müsse die Ablehnung schriftlich und mit Rechtsbelehrung erfolgen. Von einer ähnlichen Praxis in anderen Bundesländern ist bisher nichts bekannt.
Die Berliner Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf hat mit den Scheinehe-Recherchen der Ausländerbehörde ganz eigene Erfahrungen gesammelt. Ein Klientenpaar „aus der alternativen Szene“ hatte wegen Verdachts auf Scheinehe eine Ladung zu einer Befragung auf der Ausländerbehörde bekommen. Das junge Paar hatte kurz vor der drohenden Ausweisung des Mannes geheiratet. Petra Schlagenhauf: „Der Beamte hat versucht, die beiden nach seinen Vorstellungen der Standardehe zu beurteilen. Es kamen Fragen wie: ,Welches Hobby hat Ihr Mann?‘ oder ,Welche Fernsehzeitschriften liest Ihre Frau?‘.“
Am Ende der Prozedur fühlte sich selbst der Beamte nicht mehr wohl in seiner Haut. Der junge Mann hatte auf die Frage „Auf welchem Herd kocht Ihre Frau?“ irritiert geantwortet, eigentlich sei er derjenige, der koche. Das Paar bestand die schwere Prüfung bravourös – sie hatten aus Liebe geheiratet.
* Die Namen aller Betroffenen wurden von der Redaktion geändert.
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