: Verhaltene Aufbruchstimmung
Der Bertelsmann-Konzern legt erneut einen Rekordabschluß vor / Zwei Drittel des Umsatzes werden im Ausland erwirtschaftet ■ Aus Gütersloh Philippe Ressing
Zwar ist der Bertelsmann-Konzern das zweitgrößte Medienunternehmen der Welt, der Stil seines Managements jedoch wirkt immer noch ein wenig hausbacken-autoritär. Wie ein gestrenger Vater referierte der Vorstandsvorsitzende Mark Wössner anläßlich der diesjährigen Bilanzpressekonferenz am Dienstag abend in Gütersloh das Geschäftsergebnis des Medienmultis. Und die Kollegen im Vorstand warteten brav auf ihr Stichwort.
Manchmal mußten sie sich auch in altväterlicher Manier vom Vorstandschef korrigieren lassen. Aber vielleicht war dies auch ein Zeichen allgemeiner Unsicherheit beim Branchenriesen. Während die Presseerklärung forsch formuliert: „Bertelsmann in Aufbruchstimmung“, meinte Wössner zum abgelaufenen Geschäftsjahr, man sei „recht zufrieden“. Trotz der Verluste aus dem Engagement beim Kölner Privatsender Vox und der allgemeinen Rezession sei das Stammgeschäft des Hauses „sehr tragfähig“.
Immerhin stieg der Umsatz im Geschäftsjahr 93/94 um über sieben Prozent auf mehr als 18 Milliarden Mark, stärker als im Vorjahr. Auch der Nettogewinn wuchs um fast 15 Prozent auf fast 760 Millionen Mark. Allerdings lag die Steigerungsrate vor einem Jahr bei 16 Prozent.
Zwei Drittel des Umsatzes wurden im Ausland erwirtschaftet. In den USA stieg der Umsatz um über 21 Prozent, während das Geschäft in der Bundesrepublik, so Finanzchef Siegfried Luther, nur um ein mageres Prozentpünktchen wuchs. Probleme hat Europas größter Medienkonzern vor allem bei den technischen Betrieben in der Bundesrepublik. Die Druckbetriebe sind von der Rezession des Anzeigenmarktes der Printmedien betroffen.
Beim TV-Sender Vox mußten dreistellige Millionenbeträge abgeschrieben werden, und auch beim Pay-TV-Sender premiere ist man mit der Abonnentenentwicklung unzufrieden. Vor allem bei den technischen Betrieben, den Druckunternehmen, heißt deshalb die Devise: Rationalisierung, Produktivitätssteigerung und massiver Geldeinsatz für die Werbung neuer premiere-ZuschauerInnen. Um Kosten zu senken, soll beispielsweise bei den Druckereien im nächsten Jahr die Sonntagsarbeit ausgedehnt werden. Gerüchte über Massenentlassungen bei Mohndruck in Gütersloh wiesen der zuständige Vorstand Günter Thielen und Mark Wössner jedoch zurück. Es gäbe auch keinen Antrag beim Landesarbeitsamt Düsseldorf auf Entlassungen.
Allerdings schloß Thielen nicht aus, daß am Ende des nächsten Geschäftsjahres weniger als die bisher 2.150 Beschäftigten bei Mohndruck arbeiten werden. Dies hänge von der Geschäftsentwicklung ab, und Wössner erklärte vieldeutig: „Im Zuge von sparsamem Wirtschaften sind partielle Maßnahmen möglich.“ Der Mitarbeiterzuwachs um über 1.300 auf 51.767 fand folgerichtig nur im Ausland statt.
Durch eine Umorganisation ist der Konzern im letzten Jahr in vier Bereiche gegliedert worden. Der Buchsektor hat dabei mit sechseinhalb Milliarden Mark ein Drittel des Umsatzes erwirtschaftet, aber 40 Prozent des Gewinns. Der Bereich elektronische Medien und Musik steuerte zwar mit sieben Milliarden rund 35 Prozent des Umsatzes bei, konnte aber nur fünf Prozent des Gewinns erwirtschaften. Wössner erklärte dazu, dies sei den Anlaufverlusten neuer Aktivitäten im Musikmarkt der USA zuzuschreiben und natürlich auch der Stagnation bei der Abonnentenzahl von premiere sowie den Verlusten bei Vox.
Genaue Zahlen über die Verluste im TV-Geschäft wollte er aber nicht preisgeben. Nach Auskunft des Finanzvorstandes Luther stiegen die Anlaufverluste aller Projekte des Konzerns von 368 auf 435 Millionen Mark.
Gruner + Jahr ist wieder einmal das Zugpferd bei den Gewinnen. Mit vier Milliarden Mark Umsatz, rund 20 Prozent des Bertelsmannumsatzes, steuert der Illustrierten- und Zeitungsverlag 40 Prozent des Gewinns bei. Ausgeglichen präsentiert sich das Ergebnis des vierten Betriebsteils, der Industriebetriebe, die jeweils 15 Prozent Umsatz und Gewinn erwirtschafteten.
Finanzprobleme hat der Konzern keine. Er verfügt über flüssige Mittel von über 570 Millionen Mark, 160 Millionen mehr als im vergangenen Jahr. Deshalb will Bertelsmann auch wieder kräftig investieren, nach 2,1 Milliarden im letzten Jahr wird die Rekordsumme von 3,5 Milliarden Mark für das laufende angekündigt.
Trotz weiterhin spürbarer Stagnation im Anzeigengeschäft der Printmedien im Bundesgebiet rechnet Wössner auch in diesem Geschäftsjahr mit „Kontinuität auf hohem Niveau“. Bisher verlaufe die Entwicklung allerdings schlechter als geplant. Wössner rechnet aber spätestens im Frühjahr 1995 mit einer verbesserten Gesamtkonjunktur.
Für 1994/95 peilt der Konzern trotz eines schwachen ersten Quartals einen kräftigen Wachstumsschub an. So soll im laufenden Geschäftsjahr beim Umsatz erstmals die 20-Milliarden-Grenze überschritten werden. Neben dem bereits erfolgten Kauf von Italiens größtem Musikverlag Ricordi und sieben Magazinen der New-York- Times-Gruppe seien der weitere Aufbau von Musiklabels sowie Neugründungen von Zeitschriften geplant. Der Gewinn soll dabei so hoch sein wie in diesem Jahr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen