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Godfather der Vermischung

Wider den Formzwang: Seit 15 Jahren arbeitet der amerikanische Multiinstrumentalist Bill Laswell an einer neuen Weltmusik  ■ Von Holger in't Veld

Sentimentalität ist diesem Mann nicht anzumerken. Seit 15 Jahren lebt Bill Laswell in New York, hat hier mit wirklich allen Musikern gespielt, die in einer solchen Metropole der Vermischung zusammenkommen; hat sich an keinerlei kulturelle Grenzen gehalten und Ästhetiken mitgeprägt, die eben jene Vielfalt dieser Stadt repräsentieren – doch maßgeblich von ihr beeinflußt fühlt er sich keinesfalls. Im arabischen Ambiente seines Apartments in der Park Avenue sitzt er im wallenden schwarzen Umhang vor mir, gepflegt bis unter die Fingernägel, präzise bis zur Nüchternheit. Für ihn ist New York eine pragmatische Entscheidung – es ist denkbar leicht zu erreichen.

Erreichbar sein und selber erreicht werden – ein wichtiges Thema im Leben des William Laswell, Bassist, Multiinstrumentalist, Produzent, ein Mann der tausend Projekte, und doch nie in die Beliebigkeit abdriftend. Gerade die progressive Arbeitsweise Laswells aber bringt es mit sich, daß die Bedeutung seiner Arbeit nur sehr langsam erkannt wird. Mich erreichte er 1986 – als Produzent. Public Image, die Band von John Lydon (alias Johnny Rotten), Sänger der Sex Pistols, war der erste Kontakt. Ihre Platte mit dem schlichten Titel „Album“ war ein Meilenstein: die Überwindung von Punk als Attitüde, das Füllen von Post- Punk mit musikalischem Leben, mit Groove. Dieser Groove, weich, schwer und mit leicht afrikanischem Touch, sollte mich verfolgen. Neben Laswell, der seinen Baß in wiederkehrende Schwingungen versetzte, war es Ginger Baker, Schlagzeuger des vielbeschworenen Trios Cream, den das New Yorker Organisationstalent Laswell mit dem Punk-Frontmann zusammengeführt hatte.

Groove von Urgestein und Post-Punk

Fast zur gleichen Zeit verhalf Laswell auch schon drei Urgesteinen der Rockmusik, Motörhead, den Ramones und Iggy Pop zu ihren stimmigsten, ästhetisch geschlossensten LPs. Das ganze Kunststück: Unter Laswells Betreuung reduzierten sich die Künstler auf das, was sie können, was sie ausmacht, was sie sogar initiiert hatten. Doch auch für Laswell waren das nur Anfänge. Heute, sieben Jahre später, hat er ein Label ins Leben gerufen, das sich ganz den Initiatoren einer Musikrichtung verschrieben hat: „Black Arc“ präsentiert zum größten Teil die Originale des Funk und Rhythm'n' Blues: Bernie Worrell, Bootsy Collins, Buckethead, Melle Mel, Africa Bambaata und andere kombinieren ihre Musik in unterschiedlichen Zusammensetzungen, mal traditionell, mal progressiv.

Diese Würdigung der Wurzeln ist jedoch beileibe nicht der Focus seiner Arbeit. Seit seinen Anfangstagen in New York, die in enger Verbindung mit Brian Eno, später Herbie Hancock standen, ist Laswell ein Mann des „Jazz“ und der „Avantgarde“ – in Anführungsstrichen, weil diese Begriffe viel zu eng sind, wie er findet. Und Lippenbekenntnisse sind das nicht: Wie die Arbeiten seines langjährigen Wegbegleiters John Zorn sind auch Laswells Entwürfe von Jazz denkbar weit vom Traditionalismus entfernt. Mit der Band Last Exit – unter Mitwirkung von Peter Brötzmann und dem kürzlich verstorbenen Sonny Sharrock – wurde schwer, elektrisch und frei gearbeitet; Material, seine wohl bekannteste, seit den späten siebziger Jahren existierende Formation, bei der die mitwirkenden Musiker ständig wechselten, band ihre Fusion-Wurzeln mehr in ein erzählendes und tanzbares Gewand. Der ästhetische Spreizgang, den diese Band auch inhaltlich beschritt, wird wohl durch zwei ihrer populärsten Gäste deutlich: Während auf einer der frühen Platten Whitney Houston mitsang, spricht auf dem aktuellen Album „Hallucination Engine“ William S. Burroughs über den Groove. Kein Widerspruch für Laswell. Progression und vielschichtiges Nebeneinander sind die auffälligsten Merkmale seiner Arbeit.

„Ich habe großes Interesse daran, eine konventionelle Zusammensetzung von Musik aufzulösen“, erklärte sich Laswell geduldig, „es gibt so viele andere Möglichkeiten, Musik zu konstruieren – wenn nötig auch ohne Musikinstrumente. Jeder, besonders hierzulande, fährt sich in einer Routine fest und, mögen sie auch etwas Großartiges machen, so finden sie doch keinen Weg, ihre Arbeit in die Zukunft zu transportieren oder in etwas Größeres einzubinden. Sie kleben an der Routine, und Routine produziert Wiederholung, immer wieder die gleiche Aussage. Das, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist das Syndrom von Popmusik.“

Gegen dieses System, hinter dem für ihn Geld, zuviel Geld steht, hat Laswell den einzig gangbaren Weg gefunden: finanzielle Autonomie. Seine Produktionen, seine Erfolge aus den Achtzigern haben ihm einen bemerkenswerten Grad an Selbständigkeit ermöglicht. Ein vollständig am künstlerischen Ausdruck orientiertes, selbsttragendes System, bei dem er jede Einzelheit kontrolliert. Laswell besitzt Labels, er besitzt ein Studio und hat Kontakte in alle Welt, die es ihm ermöglichen, zu vertreiben und nach Lust und Laune zu kombinieren.

Seine liebsten Kombinationen verbinden Nordafrika und den Vorderen Orient mit moderner, euro/amerikanischer Musik. Sein Label „Axiom“ ist das Spielfeld dafür. Dort läßt er Musiker aus Gambia, Indien, Marokko auf US- Jazz, Trance, Dub oder HipHop treffen. Doch auch wenn die „Weltmusiker“ unter sich bleiben, ist der Ansatz von Axiom meilenweit von ähnlichen Konzepten, etwa Peter Gabriels „Realworld“ entfernt: Laswell steht für Entwicklung, ob er elektrifiziert oder eigenhändig den rhythmischen Boden legt; nur in wenigen Fällen begnügt sich das Produkt in seiner Traditionalität.

Ein Schlüssel zu Laswells Gegenwart und Zukunft liegt in der Struktur von Ambient Music. Gleich zwei neugegründete Labels verwalten diesen Bereich: Subharmonic und Strata. „Die Einführung in solche Bereiche wie Ambient konfrontiert Menschen mit Alternativen, anderen Möglichkeiten, Musik zu konstruieren, Sound zu erfahren. Was meine Arbeit anbelangt, so langweilt es mich, gewisse Musik immer wieder zu hören, ich denke nicht, daß ein bestimmtes Instrument immer gleich klingen oder immer das gleiche tun muß. Wenn du an einem Sound interessiert bist, kannst du auf dem Weg zu diesem Sound eine Million Dinge erfahren. Das ist Evolution, das ist futuristisch.“

Ambient, wie Laswell es für sich erarbeitet hat, hat nichts zu tun mit esoterischer Schönfärberei. Es sind weitausholende Klanggemälde, Schnittstellen von synthetischem und organischem Klang, räumliche Tiefenerfahrungen. Dokumentierte Stationen zu diesem Sound heißen „Divination“, „Cypher 7“, „Death Cube K“.

Drei Zukunftsentwürfe für die Welt der Musik

Auf der anderen Seite füllt er die Struktur von Ambient mit härteren Klängen. Wie schon sein ästhetisch metallisches Free-Jazz-Projekt Painkiller (unter Mitwirkung von John Zorn und Ex-Napalm- Detah-Schlagzeuger Mick Harris) es vormachte, stehen auch die Bands Azonic Halo und Praxis für ein breites Kulturverständnis, das Härte nicht als jugendliche Attitüde versteht.

Von Grindcore bis zu türkischer Folklore reicht Laswells beeindruckendes Netz, sein Basar der Kulturen, in dem trotzdem nichts zufällig wirkt. Seine nicht nach kleinkrämerischen Sparten, sondern nach Struktur und Ästhetik unterteilte Welt hat drei Zukunftsentwürfe: Ambient, Weltmusik und das gesprochene Wort (spoken word) – etwas unbeholfene Bezeichnungen, wie Laswell selber zugibt: „Das sind drei Ebenen, die sich vermischen werden bis zu dem Punkt, wo es unmöglich wird, Unterteilungen zu treffen. Wenn es eine Zukunft gibt, in der noch etwas passiert, dann in diesen Bereichen. Das ist die notwendige Befreiung der Musik von überkommenen Konstrukten, das dekonstruiert und schafft Platz für Neues. Eine Reinigung von Sound, Musik und Information. Und weitab davon, Popstars und Ikonen herbeizubeschwören.“

Laswell steckt voller Pläne. Mehrere neue Labels stehen vor der Gründung, gerade hat er längere Afrikareisen hinter sich, auf denen er unter anderem Pharaoh Sanders mit ghanesischen Musikern zusammenführte und den 83jährigen Beat-Autor Paul Bowles zu Ambientklängen sprechen ließ. Ein weiteres Projekt richtet sich an DJs: zwei Vinylplatten, eine mit Beat, eine mit Information, zur ständigen Neukombination von Musik wider den Formzwang.

Warum das Ganze, warum so verwirrend viele Projekte? „Jede Sache hat eine andere Motivation“, sagt Laswell trocken, „oftmals ist es bloß die Weiterführung alter Beziehungen zu Musikern, dann wiederum geht es um die Etablierung neuer Bereiche, in denen ich arbeite. Außerdem habe ich durch meine Arbeit mittlerweile Verantwortung für viele Leute.“

Soweit der Godfather der Vermischung, ein wenig patriarchal. Es ist neun Uhr abends. Ich hatte 40 Minuten seiner Aufmerksamkeit. Laswell hat ohne jegliche Füllwörter gesprochen, es gab keine emotionalen Ausrutscher, keine Floskeln. Das Telefon klingelt. Bootys Collins ist dran. Laswell sagt, er hätte noch fünf Minuten Interview, dann noch drei Termine. Dann erst hätte er Zeit. Er hat viel zu tun. Es gilt, der Musik eine Zukunft zu schaffen.

Ich verlasse ihn, streife zu Fuß durch Manhattan, komme am CBGB vorbei, wo derber Metal aus dem Eingang dröhnt, gehe in die Knitting Factory, wo Jazz monatlich neu buchstabiert wird, und lande schließlich in einem Club, wo der Baß mit den Innereien spricht. Alles Bausteine seiner Welt.

In der „Black Arc“-Serie von Bill Laswell (Rykodisc) sind u.a. Platten von O. G. Funk, Zillatron feat. Bootsy Collins und der Buddy Miles Experience erschienen.

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