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Die Linke muß raus aus den Buchläden

Im mexikanischen Chiapas scheint der Waffenstillstand zwischen Militär und Guerilla brüchig / Fünf Wochen nach den Wahlen nimmt die zivile Opposition Konturen an  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Die Zeit der versöhnlichen Diskurse scheint vorerst vorbei: „Wir werden nicht tatenlos zuschauen, wenn der zivile Widerstand des chiapenekischen Volkes weiterhin unterdrückt wird“, droht der zapatistische Subcomandante Marcos und kritisiert zornig „die Zweifel und Angriffe all derjenigen, die noch gestern unseren Schrei der Rebellion mit Hoffnung gesehen haben.“ Und er warnt: „Wenn der Krieg wieder anfängt, dann wird er nicht mehr aufzuhalten sein.“

In einem Kommuniqué wendet sich der Guerillasprecher direkt an die Streitkräfte: da die Regierung sich nun einmal für die „militärische Lösung“ entschieden habe, solle die Armee wenigstens mit „militärischen Ehren“ kämpfen und die Zivilbevölkerung dabei respektieren.

Mehr als 50.000 Soldaten seien, auf zehn Divisionen verteilt, inzwischen am Kessel um das von der zapatistischen Guerilla (EZLN) kontrollierte Gebiet aufmarschiert; mit Tiefflügen, Patrouillenfahrten und vereinzelten Eindringlingen in das Zapatistenterritorium werde derzeit versucht, einen Bruch des Waffenstillstands zu provozieren. Deshalb gilt ab sofort für alle Einheiten der Zapatistenarmee die „Alarmstufe eins“, wird in dem Schreiben mitgeteilt.

Der offizielle Friedensbeauftragte der Regierung, Jorge Madrazo, gibt sich dagegen ahnungslos: er wisse nicht, woher der Subcomandante seine Informationen habe, die Regierung jedenfalls plane „keinerlei Offensive“ und werde die Feuerpause „um jeden Preis“ einhalten.

Unterdessen nimmt die Nationale Demokratische Konvention (CND), die sich Anfang August im lakandonischen Regenwald als oppositionelles Sammelbecken gegründet hatte, allmählich Konturen an. Während die CND nach außen bislang nur vereinzelt in Erscheinung getreten ist, herrscht hinter den Kulissen ein reges Treiben: zumindest ein harter Kern des hundertköpfigen Präsidiums trifft sich täglich in der Hauptstadt, um über Aktionslinien und Struktur der convención zu beraten. Und auf den jeweiligen Länderkonventionen der 32 Bundesstaaten sei ein „ungeheurer Zulauf“ zu spüren, berichtet eine der 22 Präsidiumsfrauen, die Agrarspezialistin Carlota Botey.

Durch Arbeitsgruppen soll die CND „demokratischer und arbeitsfähiger“ werden; der zentralistischen Tendenz soll durch die Stärkung der Länderautonomie entgegengewirkt werden. Außerdem sollen, unabhängig von der geographischen Herkunft, künftig auch SprecherInnen von sozialen Bewegungen – Bauern, ArbeiterInnen, städtische Volksbewegungen, aber auch Frauen, Jugendliche, KünstlerInnen und UmweltschützerInnen – eine Stimme im Präsidium haben.

Neben diversen nationalen Aktionstagen und einem „Demokratie-Forum“ – an dem die Crème de la crème der unabhängigen Intellektuellen des Landes teilnehmen soll – plant man für den 8. Oktober ein „Interkontinentales Treffen“, zu dem Marcos „die demokratische Zivilgesellschaft aus der ganzen Welt“ eingeladen hat; wenige Tage später werden sich die Delegierten erneut in San Cristóbal einfinden, um über den Vorschlag abzustimmen, die Wahlen mittels Volksbefragung annullieren zu lassen. Schließlich ist die zweite nationale Versammlung der CND für den 20. November, wenige Tage vor dem geplanten Amtsantritt von Ernesto Zedillo, im Bundesstaat San Luis Potosi vorgesehen.

Neben allem Aktivismus aber geht die Diskussion vor allem um das eigene Selbstverständnis. Laut Botey gibt es innerhalb der CND zur Zeit vier Strömungen: die sogenannten Ultras, die „mit allen Mitteln“ die sofortige Annullierung der Wahlen erreichen wollen; die gemäßigten Radikalen, die dasselbe Ziel, allerdings auf der Basis von „Beweisen“, verfolgen; die Reformisten, die jetzt schon den Wahlsieg des PRI-Kandidaten Ernesto Zedillo anerkennen und von diesem „tiefgehende Reformen“ verlangen; und schließlich diejenigen, die in der CND eher einen „langfristigen Prozeß“ als ein Instrument kurzfristiger Mobilisierung sehen.

Das Präsidiumsmitglied Marieclaire Acosta gehört zur letzteren Fraktion. Für die prominente Menschenrechtlerin besteht ein Erfolg der CND schon im Zusammenkommen von „Leuten, die sich sonst nicht einmal grüßen würden“. Das Aushalten der Differenzen, die Annäherung über die jeweiligen Grenzen hinweg sei ja schon eine erste Übung in Demokratie. „Die CND hat viel erreicht, wenn in ihr Leute gemeinsam reflektieren und daraufhin allgemeine Aktionslinien ausgeben – aber keine Parolen. Wer daraus aber eine politische Partei machen will, der ist schon verloren.“

Für den allgemeinen Katzenjammer der mexikanischen Linken nach dem erneuten Wahlsieg der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) hat die künftige PRD-Abgeordnete wenig Verständnis. „Wenn die Linke sich mental wieder aufgerappelt hat, muß sie begreifen, daß sechs Millionen Stimmen unter diesen Bedingungen ganz und gar nicht zu verachten sind und daß außerdem immerhin 50 Prozent der Leute gegen die PRI gestimmt haben.“

Wichtiger als die Forderung nach Neuwahlen erscheint der 46jährigen Politikerin eine tiefgreifende Selbstkritik. „Wir, die wir die Wende wollen, sind sicher alles mögliche: wichtig, radikal, kreativ und modern – aber wir sind dabei vollkommen eingekapselt. Heute stand in der Zeitung, daß ein Großteil der PRI-Stimmen von jungen ungebildeten Frauen aus den unteren Schichten kommt. Das ist doch grausig: die PRD ist doch schließlich die Partei, die angeblich das beste Frauenprogramm hat und am meisten für die unterprivilegierten Schichten tut. Entweder brechen wir also aus unseren Zirkeln der Buchläden und Zeitungen aus und machen uns ernsthaft an eine Arbeit von unten nach oben – oder wir scheitern.“

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