: Polizeisanierung mit Hilfe von amnesty
Deutsche Polizeikrise ruft nach sensiblen Radikalreformen / Hierarchisch-soldatisches Dienstrecht und mangelhafte Ausbildung gefährden den Rechtsstaat ■ Aus Hamburg Florian Marten
Hamburg Hauptbahnhof, Ostseite. Trauben von Junkies und Kleindealern, durchmischt mit Kleinkriminellen osteuropäischer Provinienz, bilden ein Biotop der ganz besonderen Art. Entstanden ist es durch eine radikale „Säuberung“ des Hamburger Hauptbahnhofs. Besonders verrufene Tunnels wurden geschlossen, ein privater Wachdienst hält den Verkehrs- und Konsumtempel seither clean. Seither lassen sich hier offen wie sonst an kaum einer anderen Stelle der Stadt die Folgen von sozialem Elend und der Öffnung der Grenzen nach Osteuropa begucken.
Die ständige Präsenz meist milchgesichtiger Polizisten sorgt, zumindest tagsüber, für eine eigenartige Mischung von Friedlichkeit und offener Kriminalität. Dabei ist dieser zerbrechlich-idyllische Touch nur die Ausnahme. Offene Agressivität und Gewalt prägen das Bild. Und seit zwei Wochen darf auch eine breitere deutsche Öffentlichkeit mit schauriger Abscheu die Neuigkeiten über den Beitrag der Polizei zu diesem Klima genießen: Sinnlos prügelnde Bullen, rassistische Folterkeller in Dienstgebäuden und erste Hinweise auf braune Zellen im Polizeiapparat. Eine harte Hand muß her, so meinen viele, welche die Stadtstaatsmacht vom braunen Ungeziefer reinigt. In den Worten des nagelneuen Hamburger Innensenators Wrocklagen: „Die neue Behördenleitung wird alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die im Raum stehenden Vorwürfe von ,rassistischen Übergriffen einer neuen Dimension‘ und ,rechtsradikalen Umtrieben in der Polizei‘ aufzuklären. Und zwar restlos.“
Wer sich dieser Tage freilich die Mühe macht, mit nachdenklichen Hamburger Polizeibeamten ins Gespräch zu kommen, trifft auf eine gänzlich andere Einschätzung der Lage. Da ist zunächst abwehrender Zorn. Ein hoher Beamter zur taz: „Die Diffamierung der ganzen Polizei als eine rassistische Schlägerbande hat fatale Folgen für das innere Klima. Ich erlebe völlig falsche Solidarisierungen.“ Die ohnehin in großen Teilen konservative Polizei werde zum Abmarsch in die rechte Ecke geradezu aufgefordert: „Ein schwerer Rückschlag für vernünftige Reformideen.“ Allerdings, so räumen Gesprächspartner ein, seien Blindheit gegenüber dem Rechtsextremismus und eine wachsende Bereitschaft zur Gewalt zu beobachten. Schulung in Sachen Rechtsextremismus, stößt, wenn überhaupt, auf taube Ohren.
So erfuhr die taz beispielsweise von einem Beamten des Staatsschutzes, Abteilung Rechtsextremismus, der sich – reichlich frustriert – müht, seine Erkenntnisse an Kollegen weiterzugeben: „Da renne ich gegen Mauern.“ Aber: „Wir müssen mit kühlem Kopf die Ursachen benennen: Zwei Drittel unseres Nachwuches kommen vom Land. Das sind junge Männer. Jetzt verlassen die eine vergleichsweise heile Welt und werden sofort, nur unzureichend ausgebildet und schlecht betreut, mit der Gewalt der Großstadt konfrontiert. Ins Gesicht gespuckt, in den Bauch getreten, vor Gericht von Rechtsanwälten des Rassismus bezichtigt. Was glauben Sie, wie die nach zwei, drei Jahren Praxis drauf sind?“ „Die Überforderung im Alltag wird durch das preußisch- soldatische Prinzip des polizeilichen Dienstrechts mit seiner tiefengestaffelten Hierarchie und einem überaus rigiden Disziplinarrecht noch verschlimmert.“
Die Botschaft unserer Gesprächspartner, die auf Anonymität bestehen mußten: Hamburgs und Deutschlands Polizeikrise besteht zuallererst in ihrer völlig veralteten Struktur und unzureichender Ausbildung. Was tun? „Wir brauchen eine radikale Dienstreform. Wir brauchen ausländische Berater, Sozialwissenschaftler und Sozialarbeiter vor Ort in den Dienststellen. Wir brauchen fähige Leute, die in der Lage sind, den einzelnen Polizisten bei der Bewältigung ihrer Alltagserfahrungen zu helfen. Das Dienstrecht muß demokratisiert, die Hierarchie ganz erheblich verflacht werden.“ Und: „Wie kann es sein, daß wir von Kindergärtnerinnen einen Fachhochschulabschluß verlangen, nicht aber von Polizisten?“
Die Polizei solle endlich von einer militärisch strukturierten Behörde in einen hochqualifizierten Dienstleister umgemodelt werden, dem Begriffe wie „Personalentwicklung“ und „Lean management“ keine Fremdworte mehr sind. „Rot-Grün in Niedersachsen ist mit dem Einsatz einer Polizeireformkommission endlich mal einen Schritt in die richtige Richtung gegangen.“
Hamburgs neuer Innensenator: „Wir brauchen einen Innovationsschub.“ Dabei will er sich Rat von allen Seiten holen — auch von amnesty international, „eine Organisation, die ich persönlich ungeheuer akzeptiere“. Amnesty hatte tags zuvor die Hamburger Abschiebepraxis heftig kritisiert: „Hamburg schöpft alle Spielräume aus, um gegen Flüchtlinge repressiv vorzugehen.“ Hartmuth Wrocklage ahnt zumindest, worum es wirklich geht:„ Wir können unsere Gesellschaft nicht mit der Polizei sanieren.“
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