■ Die Freien Demokraten desavouieren selbst die Gründe für ihre Zweitstimmenkampagne: Liberaler Abstiegsstrudel
Harald Cronauer ist eine gebeutelter Mann. Gestern noch mußte der saarländische FDP-Vorsitzende den Wählern klarmachen, weshalb Oskar Lafontaine für seine Partei als Bundesminister inakzeptabel, als Ministerpräsident hingegen koalitionsfähig ist. Nach der massiven Intervention seines Bundesvorstandes muß er nun erläutern, warum es nach dem 16. Oktober kein Regierungsbündnis mit der SPD geben soll, wo dies in seinen Augen doch der einzige Weg ist, die absolute Mehrheit der Sozialdemokraten an der Saar zu brechen. Selbst mit der parteieigenen gespaltenen Zunge läßt sich da keine vernünftige Strategie mehr formulieren. Wie die FDP im Saarland nun ihren Wahlkampf bestreiten will, bleibt ihr großes Geheimnis. Es verfestigt sich einmal mehr das Klischee der machtgeilen Truppe, es erfüllt sich der Eindruck einer orientierungslosen Basis und eines Bundesvorstandes, dem die Nerven blank liegen, der in seiner existenziellen Not nur noch bis zum 16. Oktober zu denken vermag.
Cronauer muß sich von seinen Bundesvorständlern düpiert fühlen, strafen sie ihn doch für ein Vorgehen ab, in dem sie selbst die einzige Chance des politischen Überlebens sehen: das Anbiedern an einen Koalitionspartner, solcherart bedingungslos, daß es selbst das letzte Argument, welches die Liberalen noch zu ihren Gunsten vorbringen, sinnentleert. Ihre Selbstdefinition als Mehrheitsbeschafferin lebt davon, daß zumindest ein Teil ihrer Anhänger sie um ihrer selbst willen wählt. Diese über die Fünfprozenthürde zu hieven, ist Sinn und Zweck einer Zweitstimmenkampagne. Diese Stammwählerschaft zu binden, müßte eine programmatische Differenz zur CDU zumindest skizziert sein. Doch bereits die Andeutung einer Differenz, wie sie in einer saarländischen Koalitionsaussage zugunsten der SPD zum Ausdruck gekommen wäre, wird unterbunden. Die FDP, meint Lambsdorff, würde diesen Spagat nicht verkraften. Und so bewegen sich die Liberalen seit Monaten im Kreis, geraten von Landtagswahl zu Landtagswahl tiefer in einen Abstiegsstrudel, aus dem sich Kinkel nur noch mit Morgenstern zu retten weiß. Dabei spürt mittlerweile auch er, daß tatsächlich sein kann, was für ihn nicht sein darf. Deutschland sei ohne die FDP eine andere Republik, lautet seine Beschwörungsformel.
Deutschland ist bereits seit fünf Jahren diese andere Republik. Die FDP als Partei der Mitte, als ewiger Koalitionär, als vermeintliches Korrektiv der Volksparteien, gehört zum politischen Mobiliar der alten Bundesrepublik. Die FDP ist eine überflüssige Partei geworden, sie hat sich totregiert. Allein, der Parteivorstand hat es anscheinend noch nicht gemerkt. Der Rechtsstaatsliberalismus, ursprünglich eine ihrer Domänen, ist seit längerem ein verwaistes Feld. Auf ihm wäre das Bündnis 90/Die Grünen künftig am ehesten beheimatet. Die Liberalen sind mit der CDU verschmolzen. Sie haben es aufgegeben, in den strategischen Konstellationen der kommenden Jahre eine Rolle zu spielen. Programmatisch lautet die Alternative am 16. Oktober CDU/CSU oder Rot-Grün. Dem sollte auch die Besetzung des nächsten Bundestages entsprechen. Dieter Rulff
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