■ Koalieren mit der PDS: Warum denn nicht?
Wer im Wahlkampf nicht mindestens eine Katze aus dem Sack läßt, versteht nichts vom politischen Geschäft. Das mochte sich auch der grüne Rechtsausleger Wolfgang Templin gedacht haben, als er am Donnerstag stolz das PDS-Koalitionspapier eines Teils der Berliner Grünen aus seinem Schulranzen zog. Dreißig Prozent Wähler für die PDS in Ostberlin seien für ihn eine Gefahr für die Demokratie, meinte Templin noch vor der Europawahl. Und nun hofieren auch noch die Grünen dem leibhaftigen Gysiismus? Igittigitt! Doch warum eigentlich nicht. Haben sie nicht recht, die Verfasser des Papiers, wenn sie sich auf den „radikalen Kern“ der Bürgerbewegung und systemkritische Töne beziehen, deren Geringschätzung mittlerweile auch bei den Bündnisgrünen „zur offiziellen Parteilinie“ wurde? War es nicht gerade die Koalitionsbesessenheit der bündnisgrünen Protagonisten, die bei vielen Menschen in den neuen Ländern den Eindruck hinterließ, daß es sich bei Bündnis 90/ Die Grünen „um eine Art fünfte Kolonne der neuen Kolonialmächte“ handelte? Auch bei den Grünen kommt man eben nicht mehr daran vorbei, die PDS ernst zu nehmen. Als politische Kraft mit 40 Prozent Stimmenanteil in den Ostbezirken einerseits und als Konkurrenz um die Wählerstimmen jener, die sich noch nicht abgefunden haben mit dem real existierenden Kapitalismus in den Farben der BRD. Schließlich wissen auch die Hauptstadtgrünen, daß ihre Partei mit den politisch oppositionellen Jugendmilieus im Osten mittlerweile genausoviel gemein hat wie Joschka Fischer mit seinen Turnschuhen. Das Papier ist daher nicht nur ein reformpolitisches Gedankenspiel (neben vielen anderen), sondern auch ein Zugeständnis an eine politische Realität, die die Grünen auf lange Zeit zur kleinen SPD zu machen droht. Wenn die Verfasser des grünen PDS-Papiers allerdings mit keinem Wort darauf eingehen, wie sie eine Reformkoalition mit der PDS mit der SPD durchsetzen wollen, zeigt das natürlich auch die Problematik einer rein parlamentarisch argumentierenden Reformlogik. Uwe Rada
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