: Räumung auf die sanfte Tour
■ Schanzenviertel: Besetzte Laue-Häuser gestern geräumt / Verunsicherte Polizisten ließen fast alle Knüppel stecken Von Kai von Appen
Rund 200 PolizistInnen haben gestern mittag die seit Samstag besetzten Laue-Häuser im Schanzenviertel geräumt. Nach dem Polizeiskandal und dem Rücktritt von Innensenator Werner Hackmann war die Einsatzleitung sichtlich bemüht, ihrem neuen Innenbehördenchef Hartmuth Wrocklage keine Schande zu machen und es zu keinen Übergriffen auf die HäuserkämpferInnen kommen zu lassen. Die sanfte Tour und neue Taktiken waren angesagt.
Vor dem Polizeieinsatz hatte der Verwalter der Gebäude, die dem Rechtsanwalt Hans-Erich Dabelstein gehören und seit vier Jahren leerstehen, vergeblich versucht, die BesetzerInnen zum freiwilligen Abzug zu bewegen. Johannes Greve: „Ich möchte doch nicht, daß Polizeihorden über Euch herfallen.“
Der Weigerung folgte der schon ritualisierte Laue-Räumungs-Ablauf: Vermummte bauen auf der Schanzenstraße Barrikaden, langsam rücken starke Polizeieinheiten vor. Die Hindernisse werden beiseite geräumt. Doch nun unerwartete Freundlichkeit, wo sonst Knüppelschwingen angesagt war: „Guten Tag, meine Damen und Herren“, begrüßt Einsatzleiter Peter Wenck die 40 Sympathisanten vor dem Haus und fordert zum Verlasssen des Terrains auf. Sonst müßten „Zwangsmittel“ eingesetzt werden.
„Suspendieren, suspendieren“, hallt es ihm entgegen. Nach der dritten Aufforderung ist Wenck immer noch gesprächig: „Zum allerletzten Mal. Wenn sie jetzt nicht gehen, werden wir sie alle festnehmen.“ „Verpißt Euch“, kommt es retour. Wenck: „Ich verpiß mich noch nicht.“
Die Polizisten rücken mit Helm und Schilden vor. Und proben eine neue Taktik: Obwohl die Protestler keinen Widerstand leisten, werden sie zunächst an der Hauswand eingekesselt. „Wrocklages erster Kessel“, rufen Betroffene. Erneutes Novum: „Noch nicht festnehmen, erst alles videografieren“, so Wencks Anordnung an seine Jungs und Mädels. Verunsicherung bei der Polizei? Bloß nichts falsch machen und alles im Bild festhalten?
Doch als die ersten Häuserkämpfer aus dem Kessel herausgezerrt werden, gerät das Einsatzkonzept ins Wanken: Gezerre, Geschiebe, Geschubse, einige Besetzer bahnen sich den Weg ins Freie. Doch auch in dieser Situation werden keine Schlagstöcke eingesetzt, bis auf eine Ausnahme. Ein Polizeiführer resigniert: „Was sollen wir denn machen, wenn die einfach ausbrechen“. Sechs Personen werden im Getümmel festgenommen, zwei Demonstranten leicht verletzt.
Danach tritt Ruhe ein. Fast eine Stunde dauert es, bis es Polizisten gelingt, über Leitern ins Haus zu gelangen, um die Gebäude zu räumen. Doch die sind leer, die BesetzerInnen haben längst in dem verzweigten Laue-Areal das Weite gesucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen