Geheimdienstchef schreibt grün

Heft von Bündnis 90/Die Grünen zum Thema „Kontrolle der Geheimdienste?“ / Erstmals schreibt Verfassungsschutzdirektor Heinz Annußek als Autor in einer Grünen-Broschüre  ■ Von Severin Weiland

Als am 11. Juli 1989 zum ersten Mal der Ausschuß für Verfassungschutz zusammentrat, wurden die Vertreter der Alternativen Liste (AL) von allen Seiten mißtrauisch beäugt. In der Partei selbst, so mußte später das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) nach erheblichem Druck kleinlaut zugegeben, hatten jahrelang 60 sogenannte V-Leute geschnüffelt und gewühlt. Was damals undenkbar schien, ist heute Realität: In einer Broschüre, mit der Bündnis 90/Die Grünen auf fünf Jahre Ausschußarbeit zurückblicken, schrieb der derzeitige Direktor des LfV, Heinz Annußek, einen Beitrag.

Bewußt setzten die Herausgeberinnen Renate Künast und Kea Tielemann dabei auf Pluralität. So findet sich der Bericht eines Polizeikritikers wie Otto Diederichs von der Zeitschrift Bürgerrechte und Polizei neben den staatstragenden Thesen der Bundesfachgruppe Verfassungsschutz, einer von Geheimdienstlern gegründeten Interessenvertretung innerhalb der ÖTV. Das 36 Seiten starke Heft faßt die Erfahrungen des alternativen Milieus mit den Möglichkeiten und Grenzen der parlamentarischen Kontrolle zusammen. Damit solle eine Diskussion mit allen Kräften wiederbelebt werden, „die an dem Schutz der demokratischen Rechte“ interessiert sind, hofft Künast, die für Bündnis 90/Die Grünen im Verfassungsschutz-Ausschuß sitzt.

Die Juristin und frühere ALlerin zieht eine nüchterne Bilanz ihrer jahrelangen Tätigkeit. Immer häufiger stelle sie sich in letzter Zeit die Frage, ob es nicht besser sei, „den Ausschuß zu verlassen, statt ein Feigenblättchen zu sein“. Denn von einer wirklichen Kontrolle der Geheimdienste sei man noch weit entfernt. Die Aufklärung der Mykonos-Affäre, die im September 1992 mit der Ermordung vier iranischer Oppositioneller begann, ist für sie ein „Labyrinth der Geheimnisse“. Nicht nur, daß wiederholt die Öffentlichkeit von den Sitzungen des Untersuchungsausschusses ausgesperrt wurde, erschwere die Arbeit der Abgeordneten. Darüber hinaus seien die Möglichkeiten der Kontrolle schon durch die Geheimhaltungsstufe von Anbeginn äußerst begrenzt gewesen. Rund 71 Prozent der Mykonos-Unterlagen, so haben Künast und ihre Mitarbeiterin Tielemann errechnet, befinden sich im Geheimschutzraum des Abgeordnetenhauses.

Vehement fordert Künast eine Kontrolle der V-Leute. Dies sei der „Dreh- und Angelpunkt“ künftiger Arbeit. Die Abgeordneten wissen bis heute noch nicht einmal die genaue Zahl und Einsatzgebiete der vom Verfassungsschutz geführten V-Leute. Stets habe das Amt mit dem Hinweis auf den „Quellenschutz“ genauere Informationen verweigert. Dabei sei gerade deren Tätigkeit äußerst problematisch, meint Künast: Wer könne schon garantieren, daß nicht gerade eine „Überfrachtung“ von V-Leuten in politischen Gruppen den Extremismus erst erzeuge. Der Ausschuß müsse in Einzelfällen „auch einmal Namen oder eine Personenbeschreibung“ von verdeckt arbeitenden Informanten erfahren, fordert Künast.

Dem LfV attestiert sie heute eine „größere Bereitschaft“ zur Informationsherausgabe als noch zu Zeiten des rot-grünen Senats. Dies geschehe wohl nicht zuletzt auch aus „taktischen Gründen“, um das „Image“ des Amtes aufzupolieren. Dagegen stehe jedoch das Verhalten des Innensenators Dieter Heckelmann (CDU), der nach dem Gesetz allein mitteilungsberechtigt sei. Durch seine Verzögerungen, so Künast, bleibe das Amt manchmal monatelang auf Akten sitzen, die es eigentlich dem Kontrollausschuß zur Verfügung stellen wolle.

Die Broschüre „Kontrolle der Geheimdienste?“ kann über die Fraktionspressestelle von Bündnis 90/ Die Grünen im Abgeordnetenhaus bestellt werden. Adresse: Abgeordnetenhaus von Berlin, 10111 Berlin, Niederkirchnerstraße 5.