Pilotprojekt mit Verfallsdatum

Seit Sonntag fahren Lkw zwischen Sachsen und Tschechien auf Schienen / Neue A 13 wird „Rollender Landstraße“ aber Konkurrenz machen  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Trucker fahren bequem mit der Bahn, und ihre Brummis folgen huckepack auf dem Gleis. Zwischen Dresden und dem nordböhmischen Lovosice rollt seit diesem Wochenende die Landstraße. Zehn Züge mit bis zu 23 Niederflurwaggons in beiden Richtungen stehen auf dem Fahrplan. 500 Lastwagen täglich können auf die Schiene verladen und ohne Stau über die Grenze geschickt werden – wenn die Spediteure mitmachen, denn das Umsteigen von der Straße auf die Schiene ist vorerst freiwillig. 85 Mark kostet eine 120-Kilometer-Fahrt von Dresden nach Lovosice. Tschechisches Preisniveau auch für deutsche Trucker. Zweieinhalb Stunden dauert die Bahnreise, danach rollt die Ladung wieder auf Asphalt.

Für die 84 Straßenkilometer zwischen der A4-Ausfahrt Dresden und der E55-Anschlußstelle in Lovosice brauchen Trucker 14 und mehr Stunden, egal in welcher Richtung sie unterwegs sind. Oft verbringen die Fahrer allein 30 Wartestunden an der Grenze, Zentimeter für Zentimeter nähert sich die Schlange dem Nadelöhr. Kein Spediteur kann voraussagen, wann genau seine Fracht am Ziel eintreffen wird. 2.000 Lastwagen aller Größenordnungen wollen täglich über die drei sächsisch-böhmischen Grenzpassagen. Vor den Zollämtern in Zinnwald und Dubi, auf den schneesicheren Höhenlagen des Osterzgebirges, stauen sich Brummis kilometerweit ins Land. Schwere Unfälle sind an der Tagesordnung. Die berg- und kurvenreiche Bundesstraße 170 besteht zu 50 Prozent aus Ortsdurchfahrten. „Wenn wir jetzt keine Lösungen anbieten“, ahnt Sachsens Verkehrsminister Kajo Schommer, „dann werden die Anwohner die Straßen sperren.“

Die „Rollende Landstraße“ verspricht Abhilfe. Um ein Fünftel könnten die überforderten Straßen entlastet werden. Vor Illusionen warnt Bahn-Vorständler Eberhard Sinnecker: „Eine Lösung, die das Problem der Umweltbelastung an der Wurzel packt, stellt sie nicht dar.“ Immerhin kostet sie den sächsischen SteuerzahlerInnen 33 Millionen Mark. Drei Millionen hat der Freistaat in die beiden Abfertigungsterminals investiert, mit 10 Millionen in diesem und 20 Millionen 1995 will er die Zeche der Spediteure stützen. „Das sind keine neuen Subventionen“, erklärt Schommer, „sondern Zuschüsse zu den Kosten, die durch den erzwungenen Umweg auf dem Schienenweg entstehen.“ Ein Argument, das den Wettbewerbshütern in Brüssel einleuchtete. Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) glaubt nun, seine Schuldigkeit getan zu haben. Er wollte den Sachsen „in Brüssel den Rücken freihalten“. Schommer geht weiter. Er will einen Teil des Erlöses der Autobahnvignette auf seine Rollende Landstraße umleiten. Doch der Bundestag hat beschlossen, mit dem Vignettengeld den allgemeinen Haushalt aufzupäppeln.

Die ersten Rollenden Landstraßen sind bereits vorgebucht. Fünf von dreizehn in Zinnwald an der B 170 ansässigen Speditionsfirmen bieten sich am Bahnhof Dresden- Friedrichstadt in einer gemeinsamen Agentur an. Rund um die Uhr arbeiten die Zollämter an den beiden Bahnhöfen. In den Monaten vor dem Abfahrtssignal zur ersten Tour hatte das Wissmann-Ministerium mehrfach vor dem „Dirigismus“ der Sachsen gewarnt. Schommer ist immer noch kühn entschlossen, die B 170 für Brummis ab einer bestimmten Tonnage zu sperren. Tschechiens Verkehrsminister Jan Strasky mag so hart nicht vorgehen. Aber er ist zuversichtlich, daß „seine“ Trucker die flotte Fahrt auf der Bahn nicht verschmähen werden. Auf vorerst ein halbes Jahr ist das Projekt befristet. Dann wird Sachsen vor der Verkehrsministerkonferenz der Länder abrechnen. „Bis Ende April“, glaubt Schommer, „werden wir auch die letzten Bedenkenträger von unserem Projekt überzeugt haben.“ Das Experiment im sächsisch-böhmischen Elbetal werde „Maßstäbe für die Bonner und europäische Verkehrspolitik setzen“.

Die Bahnstrecke ist kurz, das Huckepackverfahren uneffektiv und viel teurer als zum Beispiel die Verladung von Containern auf die Bahn. Modernste Technologie hätte den tschechischen Partner, aber auch Sachsen finanziell überfordert. „Wir müssen uns abgewöhnen, immer nur nach perfekten Lösungen zu suchen“, entgegnet Schommer seinen Kritikern. Doch diese großväterliche Technologie nährt deren Verdacht, die Rollende Landstraße sei nur ein Provisorium. Das Verfallsdatum haben die Regierungen in Dresden und Bonn selbst festgesetzt: Im Oktober wird die Linie der umstrittenen Autobahn A 13 Dresden–Prag beschlossen, ab 2002 soll hier der Verkehr rollen. Unbestritten ist, daß dieser „Lückenschluß“ zwischen dem nord- und dem südosteuropäischen Verkehrsnetz vor allem den transkontinentalen Schwerlastverkehr anziehen wird.