: Bullen in Bremen, Bier in Berlin
Der vierte Jahrestag „Deutsche Einheit“ macht Bremen zur Festung und Berlin zur Freiluftkneipe / Bundeskanzler Kohl sagte traditionelle Fernsehrede zum 3. Oktober ab ■ Aus Berlin Anita Kugler
Bis Weihnachten sind es noch 88 Tage, bis zum „Staatsfeiertag Deutsche Einheit“ nur noch fünf. In Bremen auf der zentralen Feier gibt es Kohl, in Berlin auf „Deutschlands Fest“ Bratwurst. Nur in Erfurt gibt's Saures, der Bund der Vertriebenen will auf einer Großveranstaltung am Unrechtsbereinigungsgesetz herummäkeln.
In Bremen – die offiziösen Feierlichkeiten werden jedes Jahr von einem anderen Bundesland ausgerichtet – soll der vierte Jahrestag des Anschlusses Ost an West „nachdenklich, lustig und auch ruhig ein wenig kritisch“ ausfallen, meint Bürgermeister Klaus Wedemeier. In Wahrheit droht die Hansestadt aber zu einer Festung zu werden. Polizeipräsident Rolf Lüken hat für den 3. Oktober knapp 2.000 Polizisten und Bundesgrenzschützer in die Stadt beordert, damit die große Festveranstaltung im Congreß Centrum wirklich ruhig abläuft. Denn ein demonstrationsgeübtes Bündnis will den Regierenden Salz in die Suppe streuen. Die Grünen sind zwar seit Wochen mit Deeskalationsgesprächen beschäftigt – Randale sei die beste Wahlkampfhilfe für Kohl –, aber die Polizei setzt trotzdem präventiv auf law and order.
Steuben-Parade durchs Brandenburger Tor
Kritik an einer „Festung“ Bremen kommt auch von der evangelischen Kirche. Der Präsident des Kirchenausschusses, Heinz Hermann Brauer, will an dem dem Festakt vorausgehenden ökumenischen Gottesdienst nicht teilnehmen. Denn die Ansgarii-Kirche soll aus Sicherheitsgründen weitläufig abgesperrt werden, und diese Vorstellung ist dem Kirchenmann „unerträglich“. Brauer stellte sogar die Frage, ob unter diesen Umständen – Polizeikordon, Taschenkontrolle – der Gottesdienst nicht abgesagt werden sollte.
Felsenfest steht aber weiterhin das Programm für den Festakt. Die großen Reden werden Bundespräsident Roman Herzog und der polnische Schriftsteller Andrezej Szczpiorski halten. Der Literat, Solidarność-Streiter, Kämpfer im Warschauer Aufstand 1944 und ehemalige KZ-Häftling in Sachsenhausen gehörte 1990 zu denjenigen, die in Polen die deutsche Einheit gegen die Ängste der Bevölkerung verteidigten. Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth werden in Bremen eine Statistenrolle spielen. Der Kanzler hat sogar seine traditionelle Fernseh- Einheitsansprache zum 3. Oktober abgeblasen. In einem Brief an ARD und ZDF schrieb er, daß seine Ansprache zwei Wochen vor dem Wahl-Countdown mißdeutet werden könnte. Das Volk soll aber trotzdem feiern. In der Innenstadt von Bremen soll es schon ab dem 1. Oktober rundgehen. 1.500 Künstler und 65 Musikgruppen sind eingeladen.
Während Bremen kleckert, klotzt Berlin, und darüber maulen alle Fraktionen an der Weser. Denn parallel zu den Feiern im kleinsten Bundesstaat findet an der Spree „Deutschlands Fest“ statt, ein Fest, das zu einer „Tradition“ am Jubeltag werden soll. Dies sei „der Anfang vom Ende der föderalen Feierlichkeiten“, murren die Hanseaten, denn es mache wenig Sinn, einen „Nationalfeiertag“ in der Hauptstadt einzurichten und gleichzeitg woanders „zentrale Feierlichkeiten“ anzusetzen. Organisiert ist „Deutschlands Fest“ von der sich „überparteilich“ nennenden, aber CDU-nahen Initiative „Wir für Deutschland“. Geplant ist „ein in dieser Form für Deutschland einmaliges Spektakel“, eine „Steuben-Parade“ nach New Yorker Muster, wie die Veranstalter bescheiden versprechen. Am 2. Oktober wird ein „Festumzug aller 16 Bundesländer“ von der Siegessäule zum Reichstag ziehen und auf seinem 3,5 Kilometer langen Weg „die Vielfalt und Einzigartigkeit der Regionen und ihrer Menschen“ präsentieren. Vorneweg 16 Mädels und Jungs mit der Deutschlandfahne.
Kilometerlange Bratwurst und Kuckucksuhren
Baden-Württemberg kommt mit Mercedessen, Schwarzwaldmädels und Kuckucksuhren, Bayern mit BMWs und Bier, Hamburg mit der Hansekogge, leichten Mädchen und schweren Jungs und Thüringen mit einer drei Kilometer langen Bratwurst. Berlin wird sich mit Trümmerfrauen und Rußland- Heimkehrern besinnlich geben. Auf dem Festwagen sollen aber auch „Vertreter der ausländischen Bevölkerung“ und einige „Punks“ den „Schmelztigel Berlin“ versinnlichen. Um den Reichstag gibt's danach ein Volksfest, am Abend (gegen 35 Mark Eintritt) ein Rockkonzert und Punkt Mitternacht ein „Riesenfeuerwerk“. Die Schirmherrschaft über die Volksbelustigung haben unter anderen Rita Süssmuth, Ignatz Bubis, Edzard Reuter und Wolfgang Thierse übernommen. Gesponsert wird es von Volkswagen, Post und Telekom und von vielen anderen Firmen, die sich mit der Vereinigung die Bilanzen vergoldet haben.
Aber weil das neue Deutschland nicht nur Gewinner, sondern auch Abwicklungs- und andere Opfer hat, haben Bündnis 90/ Grüne und 20 andere Organisationen für den 3. Oktober auch eine Parade angemeldet. „Raus aus den Hütten“ heißt sie, denn in den „Palästen wird gefeiert“. Es geht gegen die Vereinigungsgewinnler und in einem Aufwasch auch gegen den Internationalen Währungsfonds, der in Madrid am 4. Oktober seinen 50. Geburtstag feiert. Und natürlich ganz global gegen „Sozialabbau, Rassismus, Sexismus, Faschismus und für die internationale Solidarität“.
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