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"Ich bin wie Martin Luther King"

■ Das Kreuz mit dem Kreuz - eine taz-Serie zum Bundestagswahlkampf / Ramazan Ciftci ist der einzige Berliner ausländischer Herkunft, der ein Direktmandat will

In seinem Büro in der Adalbertstraße in Kreuzberg ist Ramazan Ciftci schon jetzt der Boß. Hier wird gemacht, was er sagt. Und wie in seinen eigenen vier Wänden, soll seine Stimme in Zukunft auch in der Politik erhört werden. Ramazan Ciftci will in den Bundestag. Als einziger Bürger ausländischer Herkunft in Berlin bewirbt er sich bei der Bundestagswahl am 16. Oktober als parteiloser Direktkandidat.

In den vergangenen Jahren hat der 55jährige Türke immer wieder daran gedacht, in eine Partei einzutreten, „und ich habe mir auch alle angeguckt, aber die richtige habe ich einfach nicht gefunden“, sagt er achselzuckend. Und darum versucht er es nun auf eigene Faust: Im Wahlkreis 255, in Kreuzberg und Schöneberg. Und zu diesem Zweck ist der kleine Glaskasten an der Ladenpassage am Kottbusser Tor zum Wahlbüro umfunktioniert worden. An den Scheiben kleben Wahlplakate, und im Büro sitzt Ramazan Ciftci im blauen Nadelstreifen-Anzug an seinem Schreibtisch und sieht sich schon in Bonn wandeln.

Vor 33 Jahren kam der in der Nähe von Izmir geborene Türke nach Deutschland. „Eingeladen als Gastarbeiter wie viele damals“, erinnert er sich. Seit 31 Jahren lebt Ramazan in Berlin, ist seit 27 Jahren mit einer Berlinerin verheiratet und hat drei Kinder. Die ersten Jahre in Deutschland hat der gelernte Baufachmann auf dem Bau gearbeitet, später machte er sich im Finanz- und Versicherungswesen selbständig. Nebenbei macht Ramazan noch Bürgerberatung, „da komme ich in Kontakt mit vielen Leuten und ihren Problemen“.

Vor zwei Jahren hat Ramazan die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. „Ich habe die ganzen Jahren gewartet, daß es endlich die doppelte Staatsbürgerschaft gibt“, sagt er, „aber es ist nichts passiert, und da hab' ich beschlossen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, damit ich in der Politik was bewegen kann.“ Unter dem Motto „Für Deutschland – Miteinander – Füreinander“ will er vor allem die deutsche Ausländerpolitik bewegen. „Ich habe viel Ungerechtigkeit erlebt, und da habe ich mir vorgenommen, für politische Lösungen zu kämpfen.“ Und als großen Kämpfer sieht sich Ramazan Ciftci am allerliebsten: „Ich bin so etwas wie Martin Luther King.“ Und wie Martin Luther King will er sich für die Minderheiten, die neun Millionen „Bürger ausländischer Herkunft“ stark machen. Seine Hauptziele: Wahlrecht und doppelte Staatsbürgerschaft für Ausländer, die länger als fünf Jahre in Deutschland leben, sowie mehr Mitbestimmung und Gleichberechtigung für ausländische Mitbürger. „Wenn man wie ich 33 Jahre hier in Deutschland lebt, aber immer noch als Ausländer betrachtet wird, dann kann das doch nicht angehen“, regt sich Ramazan Ciftci auf, „wir wollen Mitbürger sein und nicht Ausländer.“ Andere politische Inhalte formuliert der Newcomer schon ganz nach altbekannter Politikermanier eher vage: „Arbeit für alle“, „mehr Toleranz und Gerechtigkeit“ und „mehr Frieden“. Und auch die wichtigste Eigenschaft eines Politikers beherrscht er schon jetzt: Er redet gern und viel und vor allem am liebsten über sich selbst. Auf jeden Fall, und das betont er immer wieder, will er etwas für das deutsche Volk tun.

In die Türkei wollte er nie zurück. „Ich lebe seit 33 Jahren hier, das ist länger, als ich jemals in der Türkei gelebt habe. Ich fühle mich deutsch, hier bin ich zu Hause, also muß ich auch hier was machen.“ Aber bevor Ramazan überhaupt als parteiloser Direktkandidat antreten durfte, mußte er in den letzten Monaten von Tür zu Tür ziehen. „Jeden Nachmittag bin ich losgegangen, habe geklingelt und mich vorgestellt, um Unterschriften zu sammeln“, erzählt er. Nach über 300 Stunden hatte er nicht nur die erforderlichen 200, sondern über 400 Unterschriften und einige potentielle Wähler zusammen.

Die Kandidatur zur Bundestagswahl ist Ramazans erster Schritt in die große Welt der Politik. „Aber“, so Ramazan ganz selbstbewußt auf die Frage, warum er seine politische Energie nicht zuerst auf Bezirks- oder Lokalebene ausgetobt habe, „ich bin in meinen Gedanken und im Wissen groß, darum fange ich nicht erst im kleinen, sondern gleich beim größten an.“ Ein bißchen Größenwahn scheint ihn auch zu übermannen, wenn er ganz pathetisch davon spricht, daß er, wenn er stirbt, „Unsterbliches für die Nachwelt zurücklassen will“.

Sich selber ordnet er im politischen Spektrum „weder links noch rechts“ ein, „sondern als Friedensbotschafter“. Als dieser sieht er sich schon im nächsten Bundestag sitzen: David im Kampf gegen die Politik-Goliathe, deren bisherige Ausländerpolitik, so Ramazan, „aus Angst vor den eigenen Wählern engstirnig und intolerant ist“. Ein türkisch-deutscher Robin Hood, der im unfair forest für Gleichberechtigung der Minderheiten kämpft. Und trotz prominenter Direktkandidatur-Gegner wie Günther Rexrodt (FDP) ist sich Ramazan Ciftci ganz sicher, daß er im nächsten Bundestag mitmischen wird. Er rechnet mit 60 Prozent der Wählerstimmen. „Viele werden mich aus Protest und als Denkzettel für die anderen Parteien wählen“, schlüsselt er seine zukünftigen Wähler siegesgewiß auf, „und viele werden mich wählen, weil sie auch für Gleichberechtigung und Toleranz sind.“ Auch wenn es nicht klappt, Ramazan Ciftci will auf jeden Fall weitermachen. „Rückwärts gibt's nicht. Wenn ich eine Arbeit angefangen habe, dann mache ich sie auch zu Ende“, sagt er, „aber die Kreuzberger und Schöneberger lassen mich schon nicht im Stich.“ Patricia Pantel

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