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Verkehrsfrau für einen Winter

■ Einzigartig: Die Sozialdemokratin Traute Müller war in Hamburg ein halbes Jahr lang Verkehrssenatorin. Dann nahm ihr „Beton-Eugen“ die Sache aus der Hand.

Verkehr ist Männersache. Naturellement. Verkehrspolitik ebenfalls. Um so erstaunlicher, daß in Hamburg einen frühlingshaften Winter lang, vom Oktober 1991 bis zum April 1992, eine Frau das Sagen in Sachen Verkehr hatte: Traute Müller, gelernte Buchhändlerin, einst Stamokap-Sozialistin, war ab 1991 Hamburger Senatorin für Stadtentwicklung, Verkehr und Frauen, einzigartig in Deutschland. Kurz vor ihrem Amtsantritt verriet sie der taz: „Die SPD ist immer von sehr strengen Männern und Vätern geführt worden. Das weibliche Element wird aber stärker – dank der Quote.“ Doch: „Geschichte und Tradition wirken stark nach.“

Traute Müller war von Henning Voscherau auserkoren, eine schmerzlich erkannte Planungslücke der Stadt zu schließen: Seit Mitte der 70er Jahre hatte die Hamburger Baubehörde, zuständig auch für Stadtentwicklung und Verkehr, jegliche Art konzeptioneller Gesamtplanung eingestellt. Stadtentwicklungskonzept, Verkehrsentwicklungsplan? Pustekuchen! Das Versagen von Bausenator Eugen Wagner (Spitzname: „Beton-Eugen“) war so offenkundig, daß ihm Voscherau Teile seiner Kompetenzen wegnahm und eine eigene Planungsbehörde schuf. Und, Traute Müller machte Furore. Hamburgs Verkehrspolitik, so versprach sie bei ihren ersten öffentlichen Auftritten, solle neuen Spielregeln gehorchen: menschliche Mobilität statt männlicher Motorbesessenheit, Vorrang für Fuß, Fahrrad und ÖPNV, ein City-Bahnnetz um Hamburg, günstigere HVV-Tarife, enge Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Verkehrsinitiativen, die Verknüpfung von Stadtentwicklung und Verkehrsentwicklung. Es blieb nicht bei Worten: Nachdem in der Stresemannstraße, einer der Hauptverkehrsstraßen Hamburgs, ein Laster ein kleines Mädchen überfahren hatte, ordnete Müller spektakulär Tempo 30 und den Rückbau der vierspurigen Straße an. Als ihren nächsten Coup plante sie die Wiedereinführung der Straßenbahn, die Ex-Bürgermeister Hans-Ulrich Klose 1978 endgültig von Hamburgs Straßen verbannt hatte. 1995 sollte nach Müllers Plänen die erste Stadtbahn Grindelallee rollen. Zu diesem Zweck hatte sie den Karlsruher Straßenbahnkönig Ludwig zum Chef der Hamburger Hochbahn AG machen wollen. Mit ihm hätte auch Hamburg eine Renaissance der Straßenbahn erlebt. Doch Ludwig sagte nach langem Zögern ab – er mochte nicht in den herben Norden. Ein vorausschauender Entschluß. Denn: Beton-Eugen hatte es noch längst nicht verwunden, daß eine Frau ihn teilentmachtet hatte. Flankiert vom Sperrfeuer der Handelskammer, intrigierte er beim Auto- und Autobahn- Freund Voscherau so lange, bis der bereits im April 1992 Müller die Verkehrskompetenz entzog und an Wagner zurückgab. Die Fachöffentlichkeit protestierte gegen diesen Schritt: „Wir müssen dem Senat eine öffentliche Rüge erteilen. Es ist radikaler Unfug, der Stadtentwicklungsbehörde den Verkehr wegzunehmen“, so damals ein junger Landschaftsplaner. Und: „Mit der Liquidierung der bisherigen Stadtentwicklungsbehörde hat der Senat ein Kernstück von integrierter Planung zerschlagen. Es muß weiter Ziel sein, den Verkehr der Stadtentwicklung unterzuordnen“, so der renommierte weißhaarige Dieter Läpple, Hamburgs Aushängeschildprofessor für Regionalökonomie. Die Einwände verhallten ungehört. Florian Marten

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