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Eine Diktatur wie aus Tausendundeiner Nacht

■ Der saudische König läßt Oppositionelle en gros verhaften und im Ausland bedrohen

Berlin (taz) – Saudi-Arabiens Regierung machte ein ungewöhnliches Eingeständnis: In der zurückliegenden Woche seien insgesamt 110 Oppositionelle festgenommen worden, gab sie am Montag bekannt. Ungewöhnlich ist diese Erklärung, die nach Informationen des saudischen „Komitees zur Verteidigung legitimer Rechte“ (CDLR) stark untertrieben ist – das CDLR spricht von über 1.000 Verhafteten –, deshalb, weil Informationen über die Verfolgung politischer Widersacher meist nur über informelle Wege aus dem Königreich dringen. Selbst in der arabischsprachigen Presse anderer Länder ist kaum etwas darüber nachzulesen – sie ist zumeist vom saudischen Herrscherhaus finanziert.

Der abtrünnige saudische UN- Diplomat Muhammad al-Khilewi hatte im Frühjahr Enthüllungen über die Verwicklungen des Königshauses in Terror- und Korruptionsaffären angekündigt. Als er im Mai mit seiner Familie in den USA politisches Asyl beantragte, behauptete er, über insgesamt 14.000 belastende Dokumente zu verfügen. Diese belegten, daß das Königshaus im In- und Ausland Jagd auf Dissidenten mache, jüdische Organisationen in den USA ausspionieren lasse und militante Islamisten unterstütze.

Daraufhin, so berichtet al-Khilewi, tauchte ein Agent des saudischen Geheimdienstes vor seiner Tür auf: Er solle schleunigst in die Heimat zurückkehren, sonst werde seine Familie ermordet. Ebenfalls auf König Fahds Abschußliste steht CDLR-Sprecher Muhammad Masari. Die im Mai 1993 gegründete Organisation versucht, den Schutz der Menschenrechte mit der islamischen Religion zu verbinden. In ihrem Programm fordert sie „die Linderung der Ungerechtigkeit und die Verteidigung der durch islamisches Recht (Scharia) bestimmten legitimen Rechte“.

König Fahd versteht diese eher moderaten Formulierungen als Angriff auf die eigene Herrschaft. Von königlichen „Sicherheitskräften“ bedrängt, setzte sich Masari im April nach London ab. Als er anfing, von dort täglich bis zu 1.000 Seiten CDLR-Propaganda in seine Heimat zu faxen, platzte Fahd der Kragen. Der König ließ zahlreiche CDLR-Anhänger verhaften, am 23. April auch Masaris 19jährigen Sohn Anmar. Nach Informationen von amnesty international (ai) befinden sie sich noch immer im Hail- Gefängnis, wo sie „wahrscheinlich gefoltert oder mißhandelt werden“. Die gegenwärtige Verhaftungswelle beendet eine Politik, die mancherorts als schrittweise Liberalisierung interpretiert worden war: 1993 hatte es Informationen über Verhandlungen zwischen dem Königshaus und schiitischen Oppositionellen gegeben, die zur religiösen Minderheit in dem zu rund 85 Prozent sunnitischen Land gehören und deshalb unterdrückt werden. Im Juli des Jahres wurden 40 schiitische politische Gefangene freigelassen.

Damals argwöhnten andere saudische Oppositionelle, Fahd suche den Ausgleich mit den Schiiten, um den Rücken frei zu haben für den Kampf gegen sunnitische Islamisten. Diese fürchtet er besonders, da sie auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur religiösen Mehrheit genügend Rückhalt in der Bevölkerung bekommen könnten, um Fahd gefährlich zu werden. Die Sorge der Opposition war offenbar berechtigt: Die meisten Inhaftierten sind Sunniten, darunter eine Reihe prominente Kleriker.

Auch eine weitere „Liberalisierungsmaßnahme“ erwies sich als Täuschungsmanöver Fahds: Am 28. 12. 94 ließ der König 60 Männer als Mitglieder eines neu geschaffenen Konsultativrates (Madschlis al-Schura) vereidigen. Sie sind vom Monarchen handverlesen und sollen ihm bei der Tagespolitik beratend zur Seite stehen. Doch keiner wagt, sich in königliche Entscheidungen einzumischen.

Gefährlich ist es in Riad, Witze wie den folgenden zu erzählen: „Ein Offizier trifft an der irakischen Grenze eine Verrückte mit einem Esel, die eine Million US- Dollar bei sich hat. Was ist mit ihr und ihren Utensilien zu tun? – Das Geld bekommt das Verteidigungsministerium, die Frau landet im Gesundheitsministerium und der Esel geht zum Madschlis al-Schura.“

Ein Verleger, der unter Freunden ein Papier verteilte, in dem die „Parlamentarier“ als Schafe dargestellt wurden, landete prompt im Gefängnis. Thomas Dreger

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