: „Wiederkehr des barbarischen Mexiko“
■ Der Generalsekretär der Regierungspartei PRI, Ruiz Massieu, wurde ermordet
Mexiko-Stadt (taz) – Gute sechs Monate nach dem noch immer rätselhaften Mord am Präsidentschaftskandidaten Luis Donaldo Colosio ist nun auch der Generalsekretär der Regierungspartei der Institutionellen Revolution (PRI), José Francisco Ruiz Massieu, einem Attentat zum Opfer gefallen. Der 48jährige Politiker hatte im Zentrum von Mexiko-Stadt gerade ein Frühstück mit Parteifreunden verlassen und wollte in sein Auto einsteigen, als ein junger Mann aus nächster Nähe das Feuer auf ihn eröffnete. Schon eineinhalb Stunden später gaben die behandelnden Notärzte der schockierten Nation den Tod des prominenten PRI-Ideologen bekannt.
Wie sich die Bilder gleichen: Auch diesmal konnten die Leibwächter den Todesschützen nicht am Schießen hindern, auch diesmal wurde der Täter unmittelbar danach festgenommen. Über die Beweggründe des Todeschützen, der gegenwärtig von der Bundesstaatsanwaltschaft verhört wird, ist der mexikanischen Öffentlichkeit noch nichts bekannt. Auch über mögliche Komplizen, die nach Augenzeugenberichten am Anschlag beteiligt gewesen sein sollen, machte die Justizbehörde bislang keinerlei Angaben.
Die befürchtete Börsenreaktion fiel noch vergleichsweise glimpflich aus: „Nur“ um knapp drei Prozentpunkte ließen die nervös gewordenen Finanzinvestoren die Börsenwerte absacken; auch die mexikanischen Aktien auf den internationalen Kapitalmärkten reagierten lediglich mit verhaltenen Abstürzen.
Der Ton der politischen Debatte aber wird zunehmend schärfer: Wie der PRI-Abgeordnete Alejandro Díaz Duran fordern viele Politiker, „endlich die Gruppen aufzudecken, die das Land destabilisieren wollen“. Es ginge nicht mehr um „irgendwelche Untersuchungskommissionen“, so Duran ungeduldig, sondern um die Bekämpfung eines „Komplotts gegen Mexiko“.
Für den greisen Gewerkschaftsboß Fidel Velasquez erlebt das Land in diesen Stunden gar „die Wiederkehr des barbarischen Mexiko“. Bei der Ehrenwache in der PRI-Zentrale, zu der schon am Nachmittag sämtliche Gouverneure der Republik angereist waren, forderte der Parteivorsitzende Ignacio Pichardo Pagaza: „Wir wollen die Wahrheit! Wir wollen Gerechtigkeit!“ Sprecher der „Kritischen Strömung“ innerhalb der Regierungspartei deuten den Anschlag als Versuch der „harten Linie“, das Land weiter „an den Rand des Autoritarismus zu treiben“.
Ruiz Massieu, der erst vor wenigen Tagen zum Koordinator der PRI-Fraktion im neugewählten Parlament ernannt worden war, galt als enger Freund der Modernisierer-Troika an der Parteispitze. Neben dem designierten Präsidenten Ernesto Zedillo und dem amtierenden Salinas de Gortari – mit dem Ruiz verschwägert war – hatte dazu auch der ermordete Ex-Kandidat Colosio gehört. José Francisco Ruiz Massieu, der gelernte Verwaltungsjurist und ehemalige Gouverneur des Bundesstaates Guerrero, war sogar als möglicher Innenminister im nächsten Kabinett gehandelt worden. Ein radikaler Erneuerer war Francisco Ruiz Massieu sicher nicht, auch wenn er jetzt von Zedillo posthum zum „Ideologen der Modernität“ erklärt wurde. Dennoch war er einer der Hauptverantwortlichen für den Entwurf einer grundlegenden Parteireform, wie sie noch am Morgen des Attentats in den Medien angekündigt worden war. In seinem letzten Interview vor wenigen Wochen hatte der Politiker die Notwendigkeit der Erneuerung erläutert: „Die PRI muß sich der demokratischen Entwicklung des ganzen Landes, den neuen Spielregeln und Gewohnheiten anpassen.“
Zwar gehen nicht wenige der allseits blühenden Spekulationen in Richtung Drogenmafia; schließlich ist der Bruder des Ermordeten, der Sonderstaatsanwalt Mario Ruiz Massieu, mit der Bekämpfung der zwei wichtigsten mexikanischen Drogenkartelle befaßt. Einiges spricht allerdings auch dafür, daß – wie der Kolumnist Joel Ortega vermutet – das Attentat der Ausdruck eines „wüsten Machtkampfes“ innerhalb der Partei- und Regierungseliten ist. Der renommierte Journalist, der den PRI-Politiker erst wenige Tage zuvor bei einem Mittagessen kennengelernt hatte, berichtete in der Zeitung La Jornada von dem Vorhaben Massieus, den Präsidentialismus abzubauen, aus dem Parlament ein „wirkliches Diskussionsforum“ zu machen und eine Lösung für Chiapas „jenseits von Repression und Kosmetik“ zu finden. Seine Worte, erinnert sich Ortega, „schienen ernstgemeint“. Anne Huffschmid
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