: „Die Ventile sind weg“
■ Ursula Karusseit über das Theater vor und nach der Wende und die Kunst, Gefühle zu erzeugen
Ursula Karusseit, 1939 geboren, gehörte zu den bekannten Schauspielerinnen in der DDR. Bis 1987 spielte sie an der Volksbühne unter Benno Besson, mit dem sie verheiratet ist. Als Ursula Karusseit dann ans „Schauspiel“ in Köln ging, hat sie ihrer Heimat nicht den Rücken gekehrt. Auch heute noch wechselt sie so oft wie möglich zwischen Ost und West, lehrt zum Beispiel an der Ernst-Busch-Schule in Ostberlin..
taz: Der Stellung des Schauspielers kam in der DDR eine besondere Bedeutung zu. Wie haben Sie ihre Arbeit erlebt?
Ursula Karusseit: Wir hatten einen anderen Kontakt zur Bevölkerung. Als Schauspieler war man wer im Osten, die Leute haben einen geliebt. Es war auch immer gut besucht.
Vielleicht nicht immer ganz freiwillig?
Ja, das stimmt schon, es waren viele Betriebe da, die nur hingeschickt wurden. Aber es gab auch Patenschaften, ich erinnere mich an die Interflug Berlin, das Narva Glühlampenwerk und das Walzwerk Finow, da kamen ganze Brigaden, auch in die Proben. Da wurde über die Stücke richtig diskutiert. Heute merke ich, daß auch bei uns eine bestimmte Distanz immer da war, gerade bei Berthold Brecht. Da schrieb einer gegen den Kapitalismus, klagte ein Unrechtssystem an, aber das traf uns gar nicht, uns gings ja nicht schlecht, schließlich lebten wir behütet im richtigen Staat, in der DDR.
Wie haben Sie den Mauerfall erlebt?
Wir haben das ja alle verfolgt in den Tagen zuvor, die ganzen Demonstrationen in Leipzig und die Flüchtlinge in der Botschaft in Ungarn. Zu dem Zeitpunkt hab ich gedacht, das geht nicht gut, gibt Krawall.
Als es dann durch war, bin ich sofort nach Berlin gefahren. An meinem ersten freien Tag, das war dann ein Sonntag, der 9. war ja Donnerstag, hab ich mich in mein Auto gesetzt, ein gebrauchter BMW ohne Katalysator. Unterwegs kamen sie mir dann entgegen. Je nördlicher ich kam, desto mehr Ostautos kamen mir entgegen. Das waren noch die Zeiten, wo die Leute von den Brücken Blumen in die Autos warfen, und in den Städten bildeten sie Spaliere. Ich hätte heulen können, das waren doch meine Leute, nur konnte ich das nicht zeigen in meinem BMW.
Denken Sie noch daran, wenn jetzt am 3. Oktober gefeiert wird?
Ich weiß nicht, was die Leute feiern, aber das Gesamtdeutsche ist irgendwie hin. Im Osten sind die Leute in so ein Loch gestoßen worden, wo sie aber nicht wissen, wie sie raus kommen sollen. Natürlich ist es gut, daß die Mauer gefallen ist, aber es sind eben wieder die gleichen die Leidtragenden. Und dieser Einigungsvertrag macht mich auch immer noch wütend, so ungerecht ist das.
Sehen Sie in der PDS eine Partei, die Lösung anzubieten hat?
Also, ich bin keine rote Socke, aber man könnt vor Ärger dazu werden. Ich war nie in der Partei und ich werde auch jetzt keiner beitreten. Aber wir haben mit Künstlern vom Deutschen Theater einen Wahlaufruf für die PDS gemacht.
Und tief in meinen Herzen, das merke ich eben immer wieder, bejahe ich die Ideale des Sozialismus, aber mit Demokratie und sozialer Gerechtigkeit für alle. Wenn ich mich hier in Bremen umschaue, dann frag ich mich, wo ist denn der Sozialstaat, von dem immer alle reden. Also mir kommen diese hohe Arbeitslosenquote und auch die Bettler und Drogenabhägigen nicht normal vor. Das kann doch nicht richtig sein.
In Bremen sind Sie jetzt in einem Ensemble am Theater, in dem mit 60 Prozent SchauspielerInnen aus der DDR eine Arbeitssituation herrscht, die man fast als vereinigt bezeichnen könnte. Wie macht sich das im Alltag des Theaters bemerkbar?
Oft sind es einfach andere Arbeitsweisen. Hier im Westen sagen die Schauspieler, sie können das Gefühl nicht herstellen. Darum geht es aber, das ist die Kunst, daß ich als Schauspieler das Gefühl herstellen kann. Wir dagegen sind oft inhaltlich anderer Meinung. Manches verstehe ich auch nicht.
Was zum Beispiel?
Also vielleicht sollte ich das jetzt nicht sagen, aber dieses Stück von Elfriede Jelinek, das ging mir zu weit. Da bin ich ausgestiegen. Ich hab den Text ja gelesen, die ist so dagegen, eigentlich ist sie gegen alles, auch gegen das Theater. Ich denke, dann sollte man das auch nicht spielen.
Was nehmen Sie noch an Veränderungen in der Arbeit wahr?
Für einen Schauspieler ist es auch irgendwie schwerer jetzt. Es sind ja die Ventile weg. Früher wußte ich, wo der Feind sitzt, im ZK und in der Bezirksleitung, und es hat auch Spaß gemacht, die auszutricksen. Das ist jetzt weg.
Wie ist das, wenn Sie selber inszenieren ?
Zuletzt hab ich in Dresden noch mal „Der gute Mensch von Sezuan“ gemacht. Heute gibt es eine ganz andere Sicht auf das Stück, das war plötzlich so aktuell. Das kam auch beim Publikum unheimlich gut an. So traurig das ist, weil es den Leuten jetzt mies geht, verstehen sie eher, gegen welche Ungerechtigkeiten Brecht sich in seinem Stück richtet. Nur die Schauspieler hatten keinen richtigen Mut, den Text mit Überzeugung zu sprechen, vielleicht war ihnen das zu politisch.
Das Bremer Theater lädt am 3. Oktober zur Ost-West-Diskusssion „Fünf Jahre danach“ .
Die denken immer an die Maueröffung, das war nämlich vor fünf Jahren. Hier kann man doch keine Wiedervereinigung feiern, mit so ein paar Volkstänzen. Das geht eigentlich nur da, wo früher die Grenze war, nur dort merkt man doch, daß etwas wieder vereint ist, daß was zusammen kommt, was früher getrennt war. Aber hier in Bremen ist es schwer. Da find ich fast noch, daß wir es am Theater gut haben. Da finden wenigstens Begegnungen statt und wir können miteinander arbeiten. Das ist zwar nicht so spektakulär, aber doch ein ganz schöner Anfang.
Interview: Susanne Raubold
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