: Enchanté, Prof. Cardoso
■ Aus der Uni in den Regierungspalast
Ein Traumkandidat der Linken: Fernando Henrique Cardoso ist weltgewandt, intellektuell, sozialkritisch und verfügt über eine saubere Vergangenheit. Bloß: Der 63jährige Soziologieprofessor, Pflichtautor einer ganzen Studentengeneration, kandidiert für ein Bündnis aus Konservativen und Sozialdemokraten.
Politisch steht der Sozialdemokrat Cardoso seinem Gegner Lula wesentlich näher als seinen neuen konservativen Verbündeten. Mit dem Arbeiterführer verbindet den Akademiker eine 16jährige Freundschaft. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Jahr 1989 unterstützte Cardoso Lula im zweiten Wahlgang gegen den liberal-konservativen Kandidaten Collor de Mello. Drei Jahre später engagierten sich beide in der „Impeachment“-Kampagne, die zur zwangsweisen Amtsenthebung des in eine Korruptionsaffäre verstrickten Ex-Präsidenten führte. „Lulas politische Karriere flößt mir Respekt ein“, gestand Cardoso kürzlich, „ich habe Schwierigkeiten, ihn anzugreifen.“
Das hindert ihn freilich nicht daran, an seine eigene Karriere zu denken. Geheime Koalitionsverhandlungen zwischen den brasilianischen Sozialdemokraten und Lulas Arbeiterpartei zu Beginn des Wahlkampfes scheiterten, da weder Lula noch Cardoso auf die Präsidentschaftskandidatur verzichten wollten.
Die unverhoffte Konkurrenz zwischen den beiden Sozialdemokraten schadete in erster Linie Lula. „Ob man nun Fernando Henrique mag oder nicht, er hat als Finanzminister ein Anti-Inflationsprogramm entworfen, und jetzt erntet er die Lorbeeren“, kommentiert Brasiliens auflagenstarkes Nachrichtenmagazin Veja.
Tatsächlich: Anders als seine zahlreichen Vorgänger verwandelte Cardoso den Schleudersitz als Finanzminister in ein Sprungbrett seiner politischen Karriere. Während seiner zehnmonatigen Amtszeit vom Mai 1993 bis März 1994 bereitete er ein Anti-Inflations-Programm vor, das erst nach seinem Rücktritt in die Praxis umgesetzt wurde. Das politische Kalkül der „Pelikane“, wie sich Brasiliens Sozialdemokraten nennen, ging auf: Nach der Währungsreform im vergangenen Juli sank Brasiliens rasante Inflation von monatlich 30 auf zwei Prozent, und mit ihr die Stimmenanteile für Lula. Bei allem Respekt für seinen Freund Lula: Für Cardoso ist der Wahlkampf gelaufen.
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