: Nicht nur hohe Filmkunst bringt's
■ Zweites Hamburger Filmfest beendet / Chef Gerhard von Halem trotz 45 Prozent Auslastung weitgehend zufrieden
Küßchen hier, Küßchen da: Bei der großen Filmfest-Party sorgte die Branche unter dem Motto „Queens of the Desert“ am Sonntag abend im Alsterpavillon für Gedrängel. Angelehnt an das schrille Tunten-Roadmovie The Adventures of Priscilla - Queen of the Desert trug das Personal Flitter auf den Wangen, und tatsächlich hatten sich außer den Damen auch einige Herren als prachtvolle Ladies in Schale geworfen.
Ganz so glänzend war am Montag morgen die Laune von Filmfest-Chef Gerhard von Halem nicht, als er vor der Presse auf das erste Filmfest unter seiner Leitung zurückblickte. Zwar hatten er und seine knapp 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Dreivierteljahr ein sechstägiges Fest mit 70 Filmen und 30 internationalen Gästen aus dem Boden gestampft. Zwar hatten sie eine angenehme und kommunikative Atmosphäre geschaffen, in der nicht nur Fachleute, sondern auch das Publikum mit Regisseuren und Schauspielern ins Gespräch kamen.
Aber: Beim gestrigen Stand der Statistik betrug die Auslastung der sieben Fest-Kinos nur 45 Prozent. Die Statistik mag darüber hinwegtrügen, daß auch viele Vorstellungen ausverkauft waren, während andere vor fast leeren Rängen liefen.
Natürlich gebe es schwierige Filme, die es beim Publikum schwerer haben, aber da hätte auch die Presse besser arbeiten müssen, schalt von Halem. Besonders bedauerte er, daß der der Besuch des Stargastes Michele Placido, Frauenliebling aus Allein gegen die Mafia und Regisseur des neuen Films über den Mafia-Ankläger Giovanni Falcone, von den Hamburgern weitgehend unbemerkt geblieben war. „Sie müssen uns helfen zu verkaufen“, verlangte von Halem von den Journalisten, deren leises Murren andeutete, daß sie sich doch nicht gerne zum verlängerten Arm der Verleiher machen lassen. Organisatorische Mängel zu analysieren, ist dagegen nun die Aufgabe der Filmfest-Crew.
Aber auch die einheimische Filmszene bekam ihr Fett weg, weil sie bei den zum Teil hochkarätig besetzten Diskussionen mit Fachleuten aus der Filmindustrie zu wenig präsent gewesen sei. „Wir sind die Geschichtenerzähler“, beschwor von Halem ökonomische Potentiale künftiger Datenautobahnen, die man nicht der US-amerikanischen Industrie überlassen dürfe.
Großes Interesse fand der Werbefilm-Wettbewerb „Limit: One Minute“, aber auch die Ausführungen von Gary Graves, des langjährigen Mitarbeiters von Orson Welles. Und daß einem auch bei Vorträgen von Kunsthistorikern über das Thema Douglas Sirk: der Film, die Farbe, die Kunst „das Herz übergehen“ kann (von Halem), hat sich bis zum nächsten Jahr möglicherweise in größeren Kreisen herumgesprochen. Zudem transportiere das Filmfest schließlich den Filmstandort Hamburg, und zwar nicht nur mit hoher Filmkunst, sondern auch mit Ereignissen, die zur Interaktion der Konsumenten anstoßen, so der Filmfest-Chef.
Allerlei Szene-Klatsch und Tratsch fehlten denn auch bei der Filmparty am Sonntag nicht. Daß sich Dieter Kosslick, vormals Filmfonds-Chef und derzeit erster Mann der Filmstiftung Nordrhein-Westalen, für den Posten des Geschäftsführers der demnächst zu gründenen Hamburger Filmförder-GmbH beworben habe, ließ manche Augen freudig, manche wütend funkeln. Bestätigen mochte das natürlich – noch? – niemand.jkn
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