: „Die wollen uns ärgern“
■ „5 Jahre danach“: eine Diskussion im Theater über Wege der Einheit, und Auswege aus der Misere
Eine Riesenbanane überragt den Marktplatz. Im Regenschatten der Reklameplastik spachteln die Festgäste: heiße Bananen an Maraschino, wahlweise Amaretto. Ein Bild von so sattem Sarkasmus hätte kein Theatermann erfinden dürfen – es wäre als Klischee durchgefallen.
„Die Alternative zur Marktwirtschaft heißt: Marktwirtschaft“, beharrt Adolf Dresen. „Aber: eine andere.“ Es war der altlinke Traum vom „Dritten Weg“ für die ostdeutschen Länder, der gestern die Diskussion „5 Jahre danach“ im Theater am Goetheplatz bestimmte. Etwas abseits des Einheitsrummels auf dem Marktplatz saßen Theaterleute und andere Nachdenker aus Ost und West zusammen, um – jenseits der Klischees – über die weniger kulinablen Seiten der „Einheit“ zu diskutieren. „Ein Kontrapunkt zu den Rederitualen der Politiker“ sollte gesetzt werden, so Intendant Klaus Pierwoß. Aber auch die Jammerrituale der professionellen Einheits-Kritiker blieben aus. Kein pauschales Gegreine von der Bühne: Die Diskutanten überraschten ihr Publikum mit einer sehr differenzierten Analyse der deutschen Befindlichkeit – und sogar mit Vorschlägen zur guten Besserung.
Und da war er wieder: der „dritte Weg“, der „langsamere Weg“ abseits von Plan- und Marktwirtschaft, den die Deutschen vor fünf Jahren nicht gehen wollten. Die Wessis nicht, weil sie zu kurz dachten; die Ossis nicht, weil „sie den blauen undert-Mark-Schein“ wählten – und nicht den „Demokratischen Aufbruch“, damals, bei den ersten freien Wahlen. Genaue Wegbeschreibungen für gesellschaftliche Alternativrouten haben die Intellektuellen freilich auch heute nicht zu bieten. An die „heilenden Kräfte des Marktes“ glaubt immerhin niemand mehr. Genausowenig aber gebe es „einen durch die Politik gesetzten Rahmen“, die dem freien Spiel der Kräfte Einhalt gebieten könne, so Adolf Dresen, in Leipzig gebürtiger Theatermann. „In diesem Land existiert ein Primat der Wirtschaft vor der Politik; das muß umgekehrt werden.“
Nur so, da schienen sich die Diskutanten einig, könne z.B. der fatale Mechnismus der „Treuhand“ umgekehrt werden. Die Umwandlung von Staatsbetrieben in Volksvermögen – so sei die Aufgabe des Gesellschaft ja mal beschrieben worden, erinnert Autor Rolf Hochhuth. In den vergangenen fünf Jahren aber sei das Gegenteil gelaufen. Die Ostdeutschen seien „um Bauten und Boden“ gebracht worden, ohne daß sie z.B. beim Verkauf der Interhotels „bei einem Teelöffel hätten mitbieten können“.
Anderswo geht es schließlich auch: Hochhuth erinnerte an das Beispiel des Volkswagenwerks, das vor Jahrzehnten in die Hände von tausenden (Kleinst-)Aktionären ging. Ohne, daß sich die großen Firmenkartelle die dicksten Scheiben abschneiden konnten.
So rief die Runde nach der großen Politik – es sind ja schießlich Wahlen – und nach dem „Gesetzgeber“. Der möge doch die Bedingungen für eine zahmere Marktwirtschaft aufstellen und regeln. Der Glaube an die Veränderbarteit solcher Dinge setzt freilich voraus, daß man auch an die Gutwilligkeit der Politiker glaubt. Dresen gab sich da erstaunlich guter Dinge; Klaus Staeck, der alte Meckerer, natürlich nicht. Schon bei den Einigungsverträgen vor 5 Jahren, da war „böser Wille mit im Spiel“. Der Kanzler (“in der Rolle eines Heiratschwindlers“) habe schlicht den „Glücksrausch“ des Volkes ausgenutzt, um die Wirtschaft zu bedienen, und wohl auch sein eigenes, damals angekratztes Image zu bessern. Logisch sei es da, wenn nun die Ossis massiv mit PDS-Stimmen drohten: „Die wollen uns ärgern“, wußte Staeck.
Sowas gibt Applaus, zumal bei einem vorwiegend wohl westlichen Theaterpublikum. Das schöne Bild vom „Denkzettel“, den die dummen, unmündigen Ossis in fortwährender Unkenntnis ihrer Möglichkeiten den Wessis bei den Wahlen verpassenm wollen – zumindest Daniela Dahn, Autorin und Aktivistin des „Demokratischen Aufbruchs“, mochte es nicht bestätigen. „Ich habe mich nie entmündigen lassen und immer wieder neue Initiativen gegründet“, erklärte sie. Und auch die 20 Prozent PDS-Wähler, die es zuletzt in Brandenburg gab: Sie sind nach Dahns Einschätzung nicht allein simple Protestwähler. Nicht Resignation oder Trotz sprächen aus diesen Stimmen. „Dahinter steht doch die Hoffnung, daß man mit solchem Wahlverhalten auch was verändern kann.“ Vielleicht nicht in Bälde. Aber es gibt ja auch noch die vage Hoffnung auf Veränderung unter den westlichen Parteien. Klaus Staeck jedenfalls ist guter Dinge, was die ihm nächste Partei, die SPD angeht: „Ich reformiere sie.“
Aber auch ganz andere Alternativen kamen da ins Gespräch. Adolf Dresen jedenfalls gab nüchtern zu Protokoll, man hätte ja auch z.B. die Mauer stehenlassen können, um zu sehen, wie sich der Osten dann entwickelt, unbedrängt von den Grund- und Bodenspekulanten des Westens. Zumindest die „Zollgrenzen“ hätte man stehenlassen können. Dann wären den Ostdeutschen die Folgen der überhasteten Währungsunion erspart geblieben - für eine Weile zumindest.
Vor 5 Jahren , auch daran erinnerte Daniela Dahn, ga es freilich auch energische Mahner und Warner im Westen. Der Bundesrta hatte wohl schon geahnt, was da kommen würde: Falls die ehemalige DDR „Nostandsgebiet auf dauer“ würde, hieß es damals in einer Empfehlung, müsse nachverhandelt werden. Der Notstand ist da; die Verhandlungen können beginnen. tom
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