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■ Jelzin verschläft Staatsbesuch, weil ihn niemand weckte„Ich werde sie dafür treten“

Dublin (taz) – Boris Jelzin war am Wochenende zum ersten Mal auf offiziellem Staatsbesuch in Irland – gewissermaßen. Der russische Präsident landete am Freitag in Shannon an der Westküste der Grünen Insel, aber er bemerkte es nicht. Doch der Reihe nach.

Die russische und irische Regierung hatten bereits auf dem Gipfel in Korfu vereinbart, daß Jelzin auf dem Rückweg aus den USA in Shannon Zwischenstation machen würde. Die russische Nachrichtenagentur ITAR-TASS meldete vergangene Woche, daß Jelzin dort zwei Stunden mit dem „irischen Premierminister Barrington“ sprechen würde. Der Mann heißt allerdings Albert Reynolds, und er war am Freitag früh aus Australien nach Shannon zurückgekehrt, um Jelzin dort zu empfangen – und er war nicht alleine gekommen: Auf dem Rollfeld warteten neben dem Premierminister und seiner Frau Kathleen auch Finanzminister Bertie Ahern, Transportminister Brian Cowen, Staatssekretär Willie O'Dea sowie eine Reihe führender irischer Unternehmer.

31 gepanzerte Limousinen sollten den Troß zum zehn Kilometer entfernten Drumoland Castle bringen, wo man beim Lunch Geschäftliches besprechen wollte. Ein beeindruckendes Aufgebot an Polizei und unauffällig gekleideten Verfassungsschützern stand bereit, um für die Sicherheit zu sorgen. Am Fenster der Flughafenhalle drängelten sich Dutzende russischer ArbeitsemigrantInnen, um einen Blick von ihrem Präsidenten zu erhaschen, während auf dem Rollfeld hundert Soldaten des 12. Infanteriebataillons eine Ehrengarde bildeten, wie sie einem hohen Staatsgast gebührt.

Vom Gast jedoch keine Spur. Mittags wurde bekannt, daß Jelzins Flugzeug bereits seit einer Stunde über dem Flughafen kreiste. „Sie flößen ihm Kaffee ein, damit er auf zwei Beinen stehen kann“, bemerkte einer der zahlreichen Journalisten respektlos. Der Kaffee während der Warteschleifen wirkte aber offenbar nicht. Als die Maschine schließlich gelandet und der rote Teppich ausgerollt war, geschah nämlich zunächst gar nichts. Bevor das Warten so richtig zur Qual werden konnte, kletterte Jelzins Stellvertreter Oleg Soskowets aus dem Flugzeug und erklärte dem verdutzten Reynolds, daß der russische Premierminister die Maschine nicht verlassen werde, da er indisposed sei. Das ist ein recht flexibler Begriff, der in Irland jedoch meist als „sternhagelvoll“ interpretiert wird – allerdings nicht von Albert Reynolds, der Verständnis für seinen Kollegen hatte. „Wenn ein Mann krank ist, dann ist er krank“, diagnostizierte Reynolds fachmännisch. „Sein Blutdruck geht rauf und runter wie ein Fahrstuhl.“ Reynold gab dem Schwerkranken großzügig eine zweite Chance und lud Jelzin zum nächstmöglichen Termin noch einmal ein.

Jedenfalls hob die Maschine nach einer Stunde wieder ab, während das Flughafenpersonal hastig den roten Teppich einrollte. Nach seiner Ankunft in Moskau hatte Jelzin seine Krankheit überwunden. „Mir geht es wunderbar“, sagte er mit leichtem Zittern in der Stimme, wie die anwesenden Reporter feststellten, „wer hat denn das Gegenteil behauptet?“ Auf die Frage, was denn in Irland losgewesen sei, hatte er eine einleuchtende Antwort: „Ich habe verschlafen, und das ist die Wahrheit“, sagte er. „Meine Sicherheitsbeamten sollten mich in Shannon wecken, aber das haben sie nicht getan. Sie hatten Angst vor mir. Ich werde sie dafür treten.“

Nachdem die Schuld zugewiesen war, bedankte sich Jelzin artig bei Albert Reynolds und lud den irischen Premierminister für das nächste Jahr, „am besten gleich im Januar“, nach Moskau ein. Ralf Sotscheck

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