: Atmosphäre der Fraglosigkeit
■ Eine Langzeitdokumentation über drei Jahre Berliner Kiez
Nicht der finstren „Stasi-Dichter“ – solche Wendeprotagonisten haben medial inzwischen ausgedient –, sondern eher unspektakulärer Menschen im Kiez hat sich der 45jährige Filmemacher Jörg Foth in seiner Langzeitdokumentation über einige Menschen in Prenzlauer Berg angenommen. Gegen die Atomisierung der Öffentlichkeit begab sich der sympathische DDR-Dokumentarist in den Kiez: „Wie Spitzwegsche Schmetterlingsfänger“, so Foth blumig, „sind wir in die Nachbarschaft gegangen und haben Licht in Botanisiertrommeln gepflückt.“
Dort traf er Else, die „vom Schicksal oft getroffene unverwüstliche Berlinerin“, Viktoria und den Waffenfreund Wolfgang, die seit den 50er Jahren den stillgelegten romantischen Kirchhof am Prenzlauer Berg verwalten. Dort wohnen Maschka, Klaus und ihre Kinder; Sabine und Bodo, die Russischlehrerin Moni, der Schallplattenverkäufer Helmut und die Fotografin Helga. Viel Personal, selbst für einen Zweistundenfilm.
Einige seiner Helden kannte Jörg Foth schon zuvor, andere hatte er während der Dreharbeiten kennengelernt. Während der Filmemacher zu den Urberlinern eine familiäre Nähe entwickelt, bleibt er gegenüber den Vietnamesen Do Anh und Thu Ha auf Distanz. Seine Helden sind meist ein bißchen traurig, doch verstehen sie es durchaus, sich durchzusetzen.
Behutsam tastet die Kamera Wohnungen ab, beschwörend blickt sie auf alte Schwarzweißfotografien, melancholisch plätschern schöne Amateurfilmaufnahmen des Viertels vorbei. Pathetische Musik (Chopin, Lehar und Verwandtes) begleitet die Atmosphäre der Fraglosigkeit, in der seine Protagonisten über ihre Pläne, Sorgen, Schwierigkeiten, über gestern und heute sprechen.
Selbst wenn von toten Russen berichtet wird, die hier überall herumlagen, paßt sich alles ein ins harmonisch abgeschlossene Ganze, in das sich der Filmer distanzlos einfügen möchte. Wie romantisch er doch sei, sagt eine Oma über Foth. Artig bedankt der sich fürs Kompliment. In einer anderen Szene, endlich Teil der Familie, begleitet er Maschka Freymuth zum Grab ihres Mannes, der eben noch im Bild von seinen Plänen erzählte. Das wirkt dann schon ein bißchen obszön.
Vom cinéma verité zur Abbildung narzißtischer Fraglosigkeiten ist es nur ein kleiner Schritt. Wer ihn geht, produziert ein fragloses „Wir“, in das sich der Zuschauer einfügen soll. „In einer Welt der Schlammschlachten“, sagt Foth, „ist das Harmonisieren das Radikalste, was es gibt.“ Dem sei widersprochen. Detlef Kuhlbrodt
„Prenzlauer-Berg-Walzer“: Eine Langzeit-Doku von Jörg Foth, um 23.50 Uhr, ZDF
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