: Ein Festakt "armselieger Nihilisten"
■ Bei der zentralen Jubelparty zum Nationalfeiertag in Bremen wollten die Einheitsmacher unter sich sein, demonstrieren war verboten. Doch das ging nach hinten los: Auf die kalte Aussperrung reagierten..
Bei der zentralen Jubelparty zum Nationalfeiertag in Bremen wollten die Einheitsmacher unter sich sein, demonstrieren war verboten. Doch das ging nach hinten los: Auf die kalte Aussperrung reagierten die Deutschlandverächter mit Randale.
Ein Festakt „armseliger Nihilisten“
Deutschlands höchste Würdenträger gaben sich gestern im kleinsten Bundesland die Ehre. Klaus Wedemeier (SPD), Bremens Bürgermeister und Präsident des Bundesrates, hatte 2.500 PolizistInnen und BeamtInnen des Bundesgrenzschutzes bestellt, um die Sicherheit der politischen Prominenz und des diplomatischen Korps zu sichern. Er hatte sich große Mühe gegeben, Bremen gut darzustellen, das Bild der armen und nebligen Stadt im Norden etwas zu schönen. Die Stimmung in der Hansestadt war seit Wochen gereizt, da die Ampelregierung alternativ-autonome Projekte in der Stadt geräumt und sämtliche Demonstrationen am 3. Oktober verboten hatte.
Während sich die Kongreßhalle langsam mit den MinisterpräsidentInnen der Länder, VertreterInnen der christlichen Kirchen, der jüdischen Gemeinde und des Zentralrates der Juden, mit DiplomatInnen und Kanzler, Kanzlerkandidat und Präsident füllte, versuchten Polizei und Sondereinsatzkommandos, eine Demonstration „armseliger Nihilisten“, wie Kohl sie nennt, aufzulösen. Für den Bundeskanzler sind die jugendlichen DemonstrantInnen „Typen, die den Staat ausbeuten, die die volle Härte des Gesetzes spüren müssen“. Helmut Kohl war ansonsten höchst zufrieden über „die würdige Feier“. Bundespräsident Roman Herzog hatte in seiner Rede besonders die Fortschritte in Ostdeutschland hervorgehoben. Es ginge nach wie vor um den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern, doch sei vieles geschafft. Modernste Telekommunikationsnetze würden dort verlegt, „neue Verkehrssysteme getestet“. Schon bald „wird im Osten vieles moderner und wettbewerbsfähiger sein als im Westen Deutschlands“. Herzog beschwor die blühenden Landschaften des Kanzlers herauf und sprach auch ansonsten von Kohls Konstanten: Mut, Geduld, Ärmel hochkrempeln. Schließlich müsse „der hohe Standard unseres Wohlstandes verteidigt“ werden.
Klaus Wedemeier wünschte sich, daß „von Bremen ein weiteres Signal für die gute Nachbarschaft zwischen Polen und Deutschland ausgeht“. Die Deutschen „haben eine weitgefächerte Pluralität von Identitäten“ und suchten nach einem neuen Begriff von Identität und Nation. „Sie wurzelt nicht in Blut und Boden“, sagte der SPD- Politiker und forderte, daß „man auch Deutsche oder Deutscher werden kann, statt es durch Geburt oder Herkunft sein zu müssen“. Wedemeier hatte als dritten Redner den polnischen Schriftsteller Andrzej Szczypiorski eingeladen. Szczypiorski ist einer der wenigen Überlebenden des Warschauer Aufstandes, der am 2. Oktober 1944 von den deutschen Truppen brutal niedergeschlagen wurde. Szczypiorski fürchtet für ein wiedervereinigtes Europa „den deutschen Perfektionismus, den stärksten Dämon des Deutschtums“. Dennoch wünscht er sich „die Einheit des ganzen Europa“. Der Europäer sei nicht nur ein Mensch des Westens, sondern sei auch in Krakau, Lublin oder Leipzig zu Hause. Europa müsse aber ein „wenig Demut wiedergegeben werden“, sagte er.
Daß es am Montag anläßlich der Feier zum Jahrestag der Einheit in Bremen zu massiven Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und GegnerInnen der Feierlichkeiten kommen würde, war vorprogrammiert. Sämtliche Demonstrationen waren im Vorfeld verboten, Infozentralen vergeblich auf Molotowcocktails durchsucht, Menschen vorübergehend in Gewahrsam genommen worden. „Die Stadt dreht durch“, kommentierte das „Bündnis gegen die Nationalfeier“, zu dem sich etwa 70 Gruppen aus einem Spektrum von den JungdemokratInnen über Frauenprojekte bis hin zu den Autonomen zusammengeschlossen hatten.
Trotz Verbotes hielt das Bündnis an seinem bundesweiten Aufruf zur Demonstration in Bremen fest. Doch um acht Uhr morgens hatte sich am Ostertorsteinweg im Bremer Szeneviertel, dem ursprünglich geplanten Ausgangsort, bereits ein massives Polizeiaufgebot formiert und forderte die Protestwilligen auf, ihre Kundgebung aufzulösen. Gleichzeitig hatten SEKler das Mädchenkulturzentrum umstellt, in dem sich etwa hundert Frauen versammelt hatten. Gegen neun Uhr allerdings zog sich die Polizei überraschend zurück, und die Frauen setzten sich an die Sitze eines Demozuges.
Etwa tausend DemonstrantInnen bewegten sich in Richtung Bahnhof und damit auf das dahinterliegende Kongreßzentrum zu, wo der Festakt für die Prominenz stattfinden sollte. Einer abgespaltenen Gruppe von etwa 400 DemonstrantInnen gelang es, die weiträumigen Absperrungen zu durchbrechen. Direkt neben dem Ort der Feierlichkeiten kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen die Polizei einen ersten Kessel legte und nach eigenen Angaben etwa 100 Menschen in vorübergehenden Gewahrsam nahm.
Eine zweite Gruppe wurde etwa eine halbe Stunde in einem Bahnhofstunnel von Bundesgrenzschutz, SEK und Polizei festgehalten, bevor sie eskortiert und in einer von der Obrigkeit diktierten Richtung weitermarschieren durften. Die DemoteilnehmerInnen drohten in ein abgelegenes Stadtviertel abgedrängt zu werden und lösten ihren Zug freiwillig auf. Etliche aber schlossen sich direkt einer anderen Demo an, die sich in Bahnhofsnähe zusammengefunden hatte. Etwa 1.000 vorwiegend Vermummte nahmen den Weg in die Innenstadt auf, wo ein Volksfest stattfand. Auf dem Weg blieb kein Wahlplakat heil, die ersten Steine flogen.
Trotz der Präsenz von offiziell 2.500 PolizeibeamtInnen zogen die DemonstrantInnen ungehindert ins Bankenviertel: Scheiben klirrten, Autos wurden demoliert. Erst als die „GegnerInnen der Nationalfeier“ hinterm Rathaus auftauchten, wo die einzelnen Länder Eigenwerbung betrieben, griff die Polizei ein. Sie verfolgte eine Gruppe bis in die Grünanlagen, schlug wahllos auch auf friedliche DemoteilnehmerInnen ein. Eine andere Gruppe vermeintlicher „Randalierer“ wurde eingekesselt. ZeugInnen beobachteten, daß selbst in den Kessel hineingeprügelt wurde. DemoteilnehmerInnen, die der Polizei entkommen waren, reagierten mit weiteren Protestaktionen in der Stadt. Bis zum Redaktionsschluß flammten die gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Stadt immer wieder auf. Die Polizei bezifferte die Zahl der Festgenommenen auf „etwa 170 bis 13 Uhr“.
Seit Sonntag abend zählte die Pressestelle der Polizei elf verletzte Beamte und eine verletzte Demonstrantin. Schon in der Nacht zuvor war es im Bremer Szene-Viertel zu Zusammenstößen gekommen: Nach Mitternacht lieferten sich Polizei und etwa 200 Autonome ein dreistündiges Katz- und-Maus-Spiel. Kleine Autonomengrüppchen hielten im Gewirr der kleinen Sträßchen die Polizei in Atem. Viele der BeamtInnen kamen aus anderen Bundesländern, waren demzufolge ortsunkundig. Autos gingen in Flammen auf, Supermärkten wurden die Scheiben zertrümmert. Rund 70 Personen wurden festgenommen. Ulrike Fokken und
Dora Hartmann, Bremen
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