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SanssouciVorschlag

■ "Erben und Sterben" von Friederike Roth im Zan Pollo Theater / Nachschlag * Midnight-Show von Siggy Davis im Chamäleon-Variete

Man sieht Rot. Schreiendes, kreischendes Rot auf Wolle, Seide und Nylon, auf Ohrringen und hochhackigen Schuhen. Die Damen vom Kunst-Verbund sind da, vier Künstlerinnen und eine „Medienfrau“. In dem alten Wirtshaus, das sie gemeinsam beziehen, wollen sie einen Traum verwirklichen: endlich in Ruhe produzieren können, „leicht und heiter und ohne Druck, kreativ und phantasievoll“. Überflüssig zu sagen, daß nichts daraus wird.

Friederike Roths „Erben und Sterben“ ist auf der einen Seite eine boshafte Komödie um mimosenhafte, hysterische Weiber. Was die Künstlerinnen zuwege bringen, sind vor allem eifersüchtige Hennenkämpfe: Sticheleien gegen die Komponistin (Lucia Stefanel) und ihre langweilige Geliebte (Friederike Lüers). Das Frauenkunstwerk des Jahrhunderts bleibt aus. Und so müssen öffentliche Zuschüsse her und männliche Mäzene. Auf der anderen Seite des Stücks steht die tote Kronenwirtin, die in einfachen Worten ihr karges Leben schildert und was es sie gelehrt hat – schlichte Weisheiten hart an der Grenze zur Banalität, zwei Welten, die sich nicht berühren.

In der Inszenierung von Ilona Zarypow erklingen im Zan Pollo Theater abwechselnd hektische, laute Rhythmen und das zähe Geräusch fallender Wassertropfen: die Musik zu diesen beiden verschiedenen Welten. Mit zarten, verhaltenen Gesten berichtet die Alte (Eva-Maria Kurz) von ihren Kämpfen und Siegen und von ihren Träumen – in fünf einsilbigen Worten, die das Wesen aller Träume erfassen: „Es war was mit Glück.“ Geisterhaft grüne Beleuchtung umgibt die Alte. Wenn die Kunst-Verbund-Damen auftreten, zieht sie die grobe graue Strickjacke fester um sich und schlurft in eine Ecke. Ihre ständige Anwesenheit auf der Bühne verschärft den Kontrast zum aggressiv-dynamischen Auftreten der Medienfrau (Beate Ehlers) und der Larmoyanz ihrer bankrotten Untermieterinnen.

Ebenso einfach wie immer wieder überzeugend ist der Gedanke, das Theater im Theater – die unfertigen Szenen der Librettistin (Katharina Samhein) – auf der Drehbühne spielen zu lassen. Unaufhörlich dreht sich das komische und ein bißchen grausige Karussell gescheiterter Beziehungen. Danach kommt eine hinreißende Partyszene mit Kulturdezernent und Mäzenen, die auserlesen dümmlichen Small talk von sich geben. Das Klavierspiel der Pianistin (Marie-Claire Ludwig) bricht abrupt ab, ebenso wie das Stück. Der Vorhang zu ... und so weiter. Auf die Kunst! Miriam Hoffmeyer

„Erben und Sterben“ von Friederike Roth, Regie: Ilona Zarypow, bis 20.11., Mi.–So., 20 Uhr, Zan Pollo Theater, Rheinstraße 45, Friedenau (U-Bahnhof Walther-Schreiber-Platz).

NachschlagMidnight-Show von Siggy Davis im Chamäleon-Varieté

Der einstige Festsaal hat den Charme einer aufgemotzten Gartenlaube mit Parkettboden, der Filterkaffee hat noch etwas vom Instant-Vorwende-Aroma, eine Fruchtsaftschorle heißt hier „Gretchen am Spinnrad“ und ein Zitro-Wodka „Just Married“, das Rauchen ist verboten, die Preise haben Hauptstadtniveau, und die Touris kommen auch ohne Busshuttle und Tischreservierung. Wer zu spät kommt, hat gute Karten für die besten Plätze. Denn hier im Chamäleon plaziert man sich von hinten nach vorne. Solange zumindest, wie es an der Seite noch Tischchen hat und Stühle, mit und auf denen man die Tanzfläche vor der großen Bühne dann nach und nach zustellen und -sitzen kann. Eine geschäftige und tanzgelaunte Chamäleon-Dame schafft es in letzter Minute noch, etwas Ordnung in die Szenerie zu bringen – man rückt etwas zusammen und zur Seite, und das Tanzparkett wird wieder sichtbar. Alles etwas ungewöhnlich für diese Stätte, denn mit Musikshows experimentiert man hier erst noch. Aber den Homemade-Star dafür hat man schon: Siggy Davis.

Am verlängerten Einheitswochenende gab sie bereits ihr viertes Midnight-Special im ausverkauften Chamäleon-Varieté in den Hackeschen Höfen. Und ihr Entertainment-Mix aus Musical-Schnulzen und Aretha-Soul kam an – bei ihrer Jumpin'-Jack- Flash-Version stürmten gar elf Langhaarige ohne Deo-Schutz auf die Tanzfläche, und die Sitzengebliebenen wippten zustimmend.

Seit 1986 spielte die ausgebildete Schauspielerin und Entertainerin, Siggy Davis, in Spike-Lee-Filmen und zahlreichen Musicals mit. Anfang der Neunziger tourte sie mit der New Broadway Musical Company 18 Monate lang durch Europa und Israel, seit zwei Jahren versucht sie es jetzt von Hamburg und Berlin aus mit einer Solo-Karriere. „Ich bin jung und schlank“, sagt die New Yorkerin aus Connecticut, die ihr Alter nicht verraten will: „Hoffentlich akzeptieren die Europäer mich, denn ich entspreche nicht den stereotypen Vorstellungen der dicken Bluesmama.“ Daß ihre Befürchtungen grundlos sind, kann man erleben, wenn sie ihren „Mason Dixon Line Blues“ singt und Berlins Monarch of Music, Queen Yahna, ihr aus dem Publikum antwortet: „Hey, hey, the Blues is alright.“ Christian Broecking

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