: Fettfleck eines Sommertages
Suchen, was nicht mehr zu finden ist, und sich an den erfolgreichsten Journalisten Deutschlands erinnern: Flanieren auf den Spuren Joseph Roths, organisiert von StattReisen Berlin ■ Von Volker Weidermann
Als auf dem Potsdamer Platz die erste Ampel Europas aufgestellt wurde, war Joseph Roth seit vier Jahren in Berlin und in dieser Zeit einer der bedeutendsten Journalisten der Weimarer Republik geworden. Die Orte, an denen er speiste, trank und schrieb, können Sie jetzt mit StattReisen selbst aufsuchen – hier ein Vorgeschmack:
Er hätte sie gewiß „üppig“ genannt, die beiden 50jährigen Damen mit blondgefärbtem Haar, die dort in der Ecke am Fenster auf einem Plastiktablett servierte Fleischberge vertilgen. An den Wänden hängen alte Fotografien vom Berlin der zwanziger Jahre, als Berlin noch als Weltstadt galt und Joseph Roth in „Mampes Guter Stube“ auf dem Ku'damm an seinem Radetzkymarsch schrieb.
Heute ist hier das Marché-Irgendwas, ein französisches Schnellrestaurant, geschäftige Kellner mit bunten Mützchen laufen umher, und über dem Eingang gibt es ein kleines Schild, das an den großen Gast von früher erinnert. Zwei Räume sind im „Originalzustand“ belassen, Bücherregale an den Wänden, ein alter Kachelofen, doch alles wirkt museal ausstaffiert, dazu irische Folkmusik, Plastiktabletts, Rauchverbot – hier paßt gar nichts zusammen und nichts mehr dazu.
Auch all die anderen Orte, die man zusammen mit Michael Bienert von StattReisen aufsucht, muß man sich anhand alter Roth- Texte ganz neu denken. Im Café Wien, wo sich die meisten Literaten nach der Schließung des Café des Westens trafen, ist heute ein Modegeschäft untergebracht, und das Kranzler ist ein mondäner Schatten früherer Tage im lichten Glanz einer neuen Epoche. Und so schlendert man den Ku'damm entlang, lauscht Feuilleton-Texten Joseph Roths und sucht, was nicht mehr zu finden ist.
Im Sommer 1920 war Joseph Roth als mittelloser Journalist nach Berlin gekommen, hatte sich mit kleinen Aufträgen der Neuen Berliner Zeitung und des Berliner Tageblatts über Wasser gehalten und am Abend die Zeitungen, für die er schrieb, selber verkauft. Er wurde schnell bekannt, ja fast berühmt, bekam eine feste Anstellung bei Emil Faktors angesehenem Berliner Börsen-Courier, bevor er 1923 als Berliner Korrespondent der Frankfurter Zeitung, dem renommiertesten Blatt der Weimarer Republik, einen Höhepunkt seiner Karriere als Journalist erreichte.
Joseph Roth schrieb „Feuilletons“, kleine, betrachtende Texte scheinbar ohne bedeutungsvollen Anlaß, „den lächerlich unscheinbaren Zug im Antlitz der Straße und des Tages“. Durch die Straßen schlendernd sieht er hier einen „dicken Herrn mit Zigarre und hellem Sakko, den verkörperten Fettfleck eines Sommertages“, ein vor die Droschke gespanntes Pferd, das nicht weiß, das Pferde normalerweise ohne Droschke zur Welt kommen, oder den Kriegsinvaliden Kurt Knopf, der Streichhölzer und Blumensträuße verkaufte und jetzt gestorben ist: „Er war das einzige Häufchen Lyrik am Potsdamer Platz.“
Dort, wo Joseph Roth auch Zeuge der Aufstellung der ersten europäischen Verkehrsampel wurde, eines „Verkehrsturms, von klugen Technikern aus Amerika errichtet, der in der Nacht aus grünen, roten und gelben Augen furchtbar blicken wird, den bunten Augen des zwanzigsten Jahrhunderts“, und voller Abscheu steht Roth inmitten dem „heidnisch- chaotischen Orgelklang der vielstimmigen Gefährte“.
Diesen Text im kargen Brachland des heutigen Potsdamer Platzes vorgelesen zu bekommen hat etwas Groteskes. Verwilderte, eingezäunte Gärten, Abfall, Wiesen, eine Kreuzung und zwei Häuser, die verloren übriggeblieben sind. Ein Rest der alten Potsdamer Straße ist auch noch da, kopfsteinbepflastert steht sie mitsamt der Alleebäume am Straßenrand heute unter Denkmalschutz und bricht ganz abrupt vor dem Gelände der Staatsbibliothek ab. In einem großen, weißen Zelt kann man sich da auch von einer Dame der Daimler-Benz-Aktiengesellschaft die großen Pläne ihres Konzerns erläutern lassen, der den Platz „der Stadt und seiner Bevölkerung als ein kulturelles Zentrum wiedergeben will“.
Fünf Jahre lebte Joseph Roth in Berlin. Hier hat er seinen ersten Roman, „Die Rebellion“, geschrieben und hier wurde er zu einem der erfolgreichsten Journalisten Deutschlands. 1925, am Tag nachdem Hindenburg Reichspräsident geworden war, verließ er Berlin: „Wenn es Hindenburg wird, reise ich ab. Ich weiß, was dieser Wahl folgen wird.“
Nächste Termine: 8., 15. und 22.10., 14 Uhr vor dem Literaturhaus in der Fasanenstraße 23. Jeden Sonntag im Oktober auch ein Spaziergang durchs Scheunenviertel, 14 Uhr, vor der Volksbühne.
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