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Die Mumienparty

■ Die Lektüre von Hermann Kants neuem Roman wird mit Widerwillen und Langeweile nicht unter zwei Tagen bestraft

Wir schreiben den 14. Juni 1992. Paul-Martin Kormoran, halb ertaubt und Diener zweier künstlicher Herzklappen, hält hof. Es ist sein 66. Geburtstag, und – fast – alle kommen sie, um dem ehemals berühmten Kulturkritiker und Redakteur zu gratulieren. Der gewesene Minister Schluziak, der ehemalige Oberstleutnant der Staatssicherheit „im besonderen Einsatz“, Henkel, und seine Frau, eine Journalistin, der schlotterige Pastor Ackerhauer, dessen Weste auch nicht blütenweiß ist, und Kormorans Verleger. Eine illustre Runde, so recht geeignet, die Wechselfälle menschlicher Existenz während der Vor- und Nachwendezeit durchzuexerzieren und die Befindlichkeit der „Vorhut des Sozialismus“ unter den Bedingungen des real existierenden Kapitalismus auf den Punkt zu bringen.

Hermann Kant, Ex-Vorsitzender des Ex-Schriftstellerverbands der Ex-DDR, gibt den Lesern gleich auf der ersten Buchseite Bescheid, wo es langgeht in dieser Geschichte des Paul-Martin Kormoran, die nichts mit der Biographie des Hermann Kant zu tun haben will. Kant selbst führt sich als „der Autor und Urheber, ein erfinderisches Wesen“ ein, der auf jeden Fall eine „fabelhafte Geschichte“ erzähle. Ganze dreiunddreißig Zeilen verschlingt diese Exposition: ein breites Eigenlob, ebenso geschraubt wie der Rest des Romans. Gedrechseltes Drumherumreden um Schlagwörter à la „unsere Zeit“ und „unsere Sache“ und ein paar verschlafene Wortspäßchen, wie aus dem Lehrbuch der Stilistik, Kapitel „Wiederholung mit Hilfe von Wortspielen“, adaptiert. Da wird geschmeidig mit „Kulturkritik“ und „Kultur der Kritik“, mit „Richtlinien“ und „richtigen Linien“ jongliert, da heißen die Telegramme wieder Depeschen. Aber wirklich ärgerlich ist etwas anderes. Unerträglich ist nicht etwa Kants beflissenes Wedeln mit Worten oder die Eitelkeit, mit der sein Held die Glückwünsche von Loriot, Peter Ustinov und Claudia Cardinale entgegennimmt. Unerträglich ist die Unverfrorenheit, mit der Hermann Kant in seiner jüngsten Erzählung, die nur durch Länge zum Roman wird, die Geschichte bereinigt. Kormoran mag schon „ein verschlagener Mann“ sein, aber sein Erfinder Kant übertrifft ihn noch. Unter Paul-Martin Kormorans Geschenken befindet sich das geheime Notizbuch des Ministers Schluziak: Notizen für Dienstberichte an den „Arbeiter-und-Bauern-Staat“. Sie sind auf eine Weise chiffriert, die ihre zweifelsfreie Deutung im Jahre 1992 nicht mehr zuläßt – natürlich eine Anspielung. Aber Kormoran, der – und wie trifft sich das doch gut – just an seinem Ehrentag auch seine eigenen „ungehorsamen“ Aufzeichnungen wiederfindet, wird nicht bloß die Absolution erteilt, er wird vielmehr zum Widerständler erhoben. Minister Schluziak selbst hat Kormoran gerettet, als der mit einem Artikel im Westblatt Konkret den Zorn des Politbüros auf sich zog. Die Geburtstagsgesellschaft indes hat sich nicht viel zu sagen, zu vieles – ob Rentenbescheide oder Rückführungsansprüche – ist tabu, und das Erlaubte wird in ein „Geflecht aus nichtigen Worten“, in manieriertes Knattermimendeutsch gekleidet. Das macht die Lektüre unglaublich ermüdend.

Kants „Kormoran“ ist eine verkappte Persilscheinparty der Mumien. Ob nun für die Protagonisten selbst oder ihren geschwätzigen Schöpfer: Akten sind nicht mehr als Papier, Wahrheit wird zu beliebigem Nullsinn addiert. Letztlich war man ja schon immer ein bißchen dagegen und durfte in der anderen Republik auch dieses und jenes nicht drucken. Die Wende hat einem dann nicht weniger übel mitgespielt als ein Krieg. Es hagelt falsches Pathos: „statt eines Todesurteils vielfach verurteiltes Leben“, „statt der Garotte die Mietenschraube“, „statt Volkszorn Siegerhäme“, „statt würgenden Stricks Verstrickungsgewürge, statt gemordeter Leichen gehetzte Seelen“. Nun gut, der Herr Geheimrat Kant möchte keinesfalls Kormoran sein und geifert unter dem Deckmäntelchen des Fiktiven doch wie Schluziak und Kormoran zusammen. Kein „Hamburger Nachrichtenmagazin“, kein „Blatt aus Hessen“ entgeht seiner beleidigten Häme. Das Fazit: Ob OibE oder unbequem – alle DDR-Bürger haben im Grunde derselben Sache gedient, der eine „durch Einbruch“, der andere eben „durch Einspruch“. So bequem kann man es sich machen. Da ändert es nichts, daß am Ende Kormoran symbolisch stirbt, als einer, der den Verhältnissen anhing und sie nicht überlebte.

Es ist nichts weiter zu sagen, außer daß diese „Potemkinsche Schreibübung“ eines gewesenen Literaturverhinderers so überflüssig ist wie ein Fliegenschiß. Anke Westphal

Hermann Kant: „Kormoran“, Aufbau-Verlag, 270 Seiten, geb., 34 DM

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