: Militärs an der Macht
Führer der demokratischen Opposition Nigerias verhaftet / Parteien- und Versammlungsverbot ■ Von Dominic Johnson
Berlin (taz) – Der Narr im klassischen Drama ist ein Kläger, der flüsternd oder – seltener – schreiend auf jene tragischen Dimensionen der Geschichte aufmerksam macht, die den Handelnden selbst verborgen bleiben. Als Nachfolger des mittelalterlichen Barden findet der Narr im heutigen Westafrika seine Entsprechung im Schriftsteller, der als Erbe des griot, des Geschichtenerzählers der traditionellen Königshöfe, die Tragik Afrikas in einer europäischen Sprache der Welt erzählt in der Hoffnung, daß die äußere Rezeption auf die heimische Finsternis zurückstrahlen möge. Wole Soyinka, prominentester Schriftsteller Nigerias, Literaturnobelpreisträger und Dissident, hat unter Mißachtung seiner persönlichen Sicherheit diese Rolle zum äußersten getrieben: Sein Paß wurde ihm entzogen, seine Ausreise nach Europa zwecks Teilnahme am letzte Woche beendeten „Schriftstellerparlament“ in Lissabon sowie öffentlichen Auftritten in Deutschland wurden von den Militärbehörden verhindert. Heute sitzt er faktisch mundtot in der Dunkelheit einer sich auf Dauer einrichtenden Militärdiktatur. Dem Schriftstellerparlament konnte er nur eine kurze telefonische Stellungnahme zukommen lassen.
„Die Waffe der Sanktionen muß mit äußerster Härte angewandt werden, bis die Junta der Rebellen in die Knie gezwungen ist“, hatte Soyinka im August 1993 in einem unter anderem in der taz veröffentlichten Aufruf die Staatengemeinschaft aufgefordert: Spätestens mit ihrer Annullierung der ersten freien Präsidentschaftswahl des 100-Millionen-Einwohner Staates im Juni 1993 verloren die an ihrer Macht klammernden Militärs Nigerias in seinen Augen jegliche Legitimität, besetzten sie die zuvor Südafrika vorbehaltene Pariah-Stellung, begaben sich auf eine Stufe mit den international geächteten Voodoo-Putschisten Haitis. Es gab Sanktionen gegen Nigeria, aber wie in Haiti bewirkten sie eher eine Verhärtung statt Aufweichung des Regimes. Im November 1993 putschte sich General Sani Abacha an die Macht, zunächst mit einigen geachteten Demokraten im Troß; sein Beharren auf gerichtlicher Verfolgung des Wahlsiegers von 1993, Moshood Abiola, hat ihn jedoch als Diktator entlarvt.
Vergangene Woche entließ Abacha die letzten Zivilisten aus seiner Regierung; zuvor hatte der zivile Justizminister sich geweigert, neue Repressionsdekrete zu unterzeichnen. Jetzt herrschen nur noch Militärs in Nigeria. Versammlungen sind verboten, Parteien sind verboten, die meisten unabhängigen Zeitungen sind verboten – auch der Guardian, dessen Herausgeber zunächst von Abacha zum Innenminister berufen worden war –, und die Führer der demokratischen Opposition sitzen im Gefängnis.
Der unter mangelhafter Hygiene inhaftierte Moshood Abiola hat Blut im Stuhl und rechnet mit der bevorstehenden Amputation eines Beines. Auf das Haus des Menschenrechtsanwalts Gani Fawehinmi wurde ein Feuerüberfall verübt, und vor vier Tagen, am Nationalfeiertag, wanderte auch er ins Gefängnis, weil er eine politische Partei gegründet hatte. Zugleich darf in fast surrealer Pose Außenminister Gana Kingibe in New York Nigerias Anspruch auf Vetorecht im UN-Sicherheitsrat anmelden und, obwohl er ja nur zwei Tage davor als Zivilist seinen Kabinettssitz verloren hat, behaupten: „Die Entschlossenheit der nigerianischen Regierung für eine Demokratie bleibt unerschütterlich.“
„Das Glied des globalen Körpers, das Nigeria heißt, ist von Wundbrand heimgesucht“, schrieb Soyinka 1993 in seinem Aufruf und empfahl „drastische Chirurgie“. Selber kann er heute wenig tun; seine Klage gegen Nigerias Regierung wegen illegaler Machtergreifung schmort vor einem Gericht und soll jetzt am 27. Oktober angehört werden. Sie wird wohl genauso wie das laufende Verfahren gegen Abiola und der bevorstehende Prozeß gegen Fawehinmi zugunsten der herrschenden Militärs ausgehen.
Nigerias Demokraten bleibt nur die Ausdauer – jene Ausdauer, die Soyinka immer wieder bei Nelson Mandela in dessen Haftzeit bewundert hat. „Deine Geduld wächst ins Unmenschliche, Mandela“, heißt es in einem seiner Gedichte. „Deine Logik macht mir angst, Mandela. Deine Logik lehrt mich Demut.“
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