: Neue Familie für Eko
Die Treuhand präsentierte gestern den belgischen Stahlriesen Cockerill-Sambre als Käufer für Eko ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Gestern hob die Treuhand den Vorhang und präsentierte zum dritten Mal einen Käufer für Eko in Eisenhüttenstadt. Dieses Mal steht, wie vom interessierten Publikum bereits erwartet, der belgische Stahlhersteller Cockerill-Sambre auf der Bühne. Innerhalb von zwei Tagen sollen die Verhandlungen zu Ende geführt und soll der Privatisierungsvertrag paraphiert werden, kündigte Treuhand-Sprecher Wolf Schöde an. Kommt man in Berlin nicht auf einen Nenner, soll mit dem zweiten und dritten Kandidaten auf der Liste weiterverhandelt werden: Das sind die Bremer Bau- und Werftengruppe Hegemann und ein russisch-italienisches Konsortium. Die anderen vier Bewerber dürfen offenbar nicht mehr damit rechnen, noch eine Rolle zu spielen.
Cockerill-Sambre ist das größte Stahlunternehmen Belgiens. Etwa die Hälfte der insgesamt 26.000 Leute, die bei dem Konzern ihr Geld verdienen, sind Stahlkocher. Die anderen sind im Baugeschäft und Handel tätig oder produzieren Autoteile. Während es in diesen Bereichen in den letzten Jahren recht gut lief, erwirtschafteten die beiden Stahlhütten in Lüttich und Charleroi tiefrote Zahlen. 1992 mußten die Buchhalter bereits 100 Millionen Mark minus in die Bilanz schreiben, und 1993 kam es mit 290 Millionen Mark Verlust noch dicker – obwohl die Produktionsmenge schon um eine halbe Million auf 3,9 Mio. Tonnen gedrosselt worden war. Aber Cockerill-Chef Jean Gandois gibt sich optimistisch, daß er den Betrieb wieder auf Gewinnkurs bringen kann. Vor allem in die Stahlproduktion will er investieren und sie modernisieren, hat er angekündigt.
Ob die Neuanschaffungen allerdings den heimischen Werken zugute kommen, ist äußerst fraglich. Denn während er in Belgien die Maschinen selbst bezahlen muß, gibt es bei Eko reichlich Fördermittel aus Bonn und Potsdam. Etwa 1,2 Milliarden Mark wird Gandois aus den deutschen Steuerkassen beziehen. Das kündigte gestern Wirtschaftsminister Günter Rexrodt in Bonn an. 813 Millionen Mark waren mit dem ehemaligen Eko-Interessenten Riva vereinbart worden, bevor der im letzten Sommer absprang. Die EU- Kommission hatte die Subventionen damals unter der Bedingung abgesegnet, daß anderswo in Ostdeutschland Kapazitäten stillgelegt würden. Zwar hat Cockerill kein Stahlwerk im Osten. Aber vielleicht sind die Kommissare in Brüssel ja auch mit der Schließung eines Werks in Belgien zufriedenzustellen. Schließlich gestaltet sich der europaweite Kapazitätsabbau insgesamt als äußerst schwierig. Nächste Woche steht das Thema auf der EU-Tagesordnung.
Offenbar haben alle Interessenten mehr Zuschüsse gefordert als seinerzeit Riva, weil klar war, daß die Treuhand den defizitären Laden an der polnischen Grenze dringend loswerden will. 10 Millionen Mark muß sie jeden Monat zuschießen. „Die vorliegenden Angebote zeigen übereinstimmend, daß mehr als eine Milliarde Mark investiert werden muß“, heißt es in einer Treuhand-Presseerklärung. Mit den Fördermitteln soll vor allem eine Warmwalzstraße errichtet werden, die die technische Lücke in Eisenhüttenstadt schließt und den unrentablen Zwischentransport zu westdeutschen Verarbeitern überflüssig macht. Cockerill will zunächst 60 Prozent von Eko übernehmen. Erst nach Abschluß der Sanierungsarbeiten möchten die Belgier dann auch die restlichen 40 Prozent haben. Nach ihren Vorstellungen sollen 2.300 Jobs in dem von Kanzler Helmut Kohl zum industriellen Kern erkorenen Werk erhalten bleiben – damit liegt das Konzept genau auf der Linie der jetzigen Geschäftsführung, die bis April 1995 weitere 600 Beschäftigte auf die Straße setzen will. Zur Zeit stehen bei Eko noch 2.900 Menschen auf der Gehaltsliste. Als die DDR ihren 40. Geburtstag feierte, waren es noch 12.000.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen