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■ Gastkommentar von Ralf FücksNachlese zum 3. Oktober

Der 3. Oktober ist vorbei, der ganz große Kladderadatsch ist ausgeblieben; trotzdem bleibt ein schaler Nachgeschmack über die politische Sprachlosigkeit rund um den 3. Oktober, das gewaltige Polizeiaufgebot, die Demonstrationsverbote, die Abschottung der offiziellen Veranstaltungen mit geladenen Gästen vom Rest der Welt und über die Zerstörungen in der Stadt. Einige Anmerkungen aus der politischen „Binnenperspektive“:

1. Mit der Übernahme der Gedenkfeier zum 3. Oktober hat Bremen auch die Verpflichtung übernommen, die Sicherheit seiner Gäste zu garantieren. Daraus folgte zunächst die räumliche Trennung von „Staatsakt“ und „Volksfest“, von der eine fatale Symbolwirkung ausging. Diese Entscheidung war im Senat heftig umstritten, aber weder Rathaus noch Innensenator konnten im Ernst die Verantwortung dafür übernehmen, die bundesweiten Sicherheitsregeln in Bremen außer Kraft zu setzen. Auch das gewaltige Polizeiaufgebot und die faktische Bannmeile um das Kongreßzentrum folgten dieser „safety first“ – Maxime. Dafür gab es nicht erst seit dem Sprengsatz vor dem FDP-Büro handfeste Gründe.

2. Trotzdem gab es kein „generelles Demonstrationsverbot“ – ohnehin ein rechtsstaatliches Unding. Die Demonstration des „bundesweiten Bündnisses gegen die Nationalfeiern“ wurde nicht verboten, um Protest zu unterbinden, sondern weil die Veranstalter auf dem proklamierten Ziel beharrten, „das Kongreßzentrum zu belagern und zu blockieren“ und reichlich Hinweise vorlagen, daß es dabei durchaus nicht gewaltfrei zugehen sollte. Daß die Gerichte dieses Verbot bestätigt haben, mag als Akt politischer Justiz werten, wer will – daß es kein Grundrecht auf Bürgerkriegs-Spiele gibt, müßte aber auch dem revolutionärsten Opa einleuchten.

3. Offenkundig gab es rund um den 3. Oktober ein Bedürfnis nach Diskussion und Aktion, dem der „Reformflügel“ von Grünen bis Gewerkschaften nicht gerecht wurde. In dieses Vakuum stieß das Angebot einer Demonstration aus dem militanten Spektrum.

Tatsächlich eignet sich der 3. Oktober nicht besonders für Protestkundgebungen. Gegen den Fall der Mauer und die Selbstauflösung der DDR zu protestieren, erfordert ein gerütteltes Maß an historischem Zynismus; die Legende von der „Kolonialisierung des Ostens“ hält den Fakten kaum Stand; die wachsende soziale Schere und die fremdenfeindlichen Tendenzen in Gesamtdeutschland sind nicht ursächlich mit der Einheit in Verbindung zu bringen, auch wenn damit die Verteilungskonflikte noch härter und einschneidender wurden.

4. Die Reden im CCB waren meilenweit vom Zerrbild einer „nationalistischen Jubelfeier“ entfernt. Wer hat auf Seiten der KritikerInnen die Symbolkraft registriert, die darin liegt, daß mit Andrej Szczypiorski ein Mitkämpfer des Warschauer Aufstands auf der zentralen Veranstaltung zum „Tag der Deutschen Einheit“ gesprochen hat? Auch Klaus Wedemeier und der neue Bundespräsident formulierten mit ihrer Betonung von Bürgerrechten, Föderalismus und europäischer Integration die Umrisse eines republikanischen Deutschland, das die Schrecken der Vergangenheit nicht zwanghaft wiederholen muß.

5. Wenn Jugendliche gegen eine saturierte, berechnende und zukunftsblinde Erwachsenenwelt rebellieren, ist es töricht, sie als „Chaoten“ abzustempeln. Ebenso fahrlässig ist aber, ihnen nicht klar zu sagen, daß Gewaltrituale nicht augenzwinkernd gutgeheißen werden und eine Gefahr für sie selbst und das politische Klima sind.

Schlimm wird es, wenn die politische Generation der Alt-68er, die ihre Erfahrungen mit „revolutionärer Gewalt“ bis zur RAF gemacht hat, ihre Konsequenzen aus diesen Erfahrungen nicht formuliert und weitergibt. Dazu gehört jedenfalls für mich der Abschied von einer Politik des Bürgerkriegs mitsamt dem Freibrief für gewaltsame Attacken gegen „die Bonzen“, die „gutbetuchten VolksvertreterInnen, Rationalisierer und Profiteure aus Industrie und Handel“, wie es im Demonstrationsaufruf so altvertraut heißt.

Nebenbei wird in diesem Pamphlet auch gleich die Bundestagswahl zum scheindemokratischen Betrugsmanöver erklärt, was wohl heißen soll, daß einzig die selbsternannte Avantgarde des Protests die „wahren Interessen“ der Massen kennt. Logisch, daß diese Inhaber der revolutionären Wahrheit auch das Recht des Angriffs auf Personen und Sachen reklamieren, die in ihren Augen das „imperialistische System“ verkörpern. Wenn damit der „Polizeistaat“ so richtig in Fahrt kommt, umso besser. Den Antiparlamentarismus, die Parteienverachtung und die Denunzierung der „Systempolitiker“ teilt die radikale Linke übrigens spiegelbildlich mit der extremen Rechten.

6. Daß die PDS solchen antidemokratischen Blödsinn zum „Tag der Einheit“ mitunterzeichnet, wundert nicht. Daß sich unter den Aufrufern aber auch etliche Gruppen und Initiativen finden, die seit Jahren zur alternativen Szene gehören, irritiert. Vielleicht sollten wir darüber weiterdiskutieren.

Ralf Fücks, Umweltsenator

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