Liberias Horrorspirale der Gewalt

■ Bis zu 100.000 Liberianer fliehen vor neuen Kämpfen / Rebellenchef Charles Taylor offenbar empfindlich geschwächt

Berlin (taz) – Im Bürgerkrieg in Liberia ist eine entscheidende militärische Wende im Gange, die zugleich massives Leiden unter der Zivilbevölkerung mit sich bringt. Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) hat einen Hilferuf gegen die „Horrorspirale“ in dem westafrikanischen Land verbreitet und beklagt „Mord und Zerstörung“ wie auch „systematische Plünderungen“. Zwischen 50.000 und 100.000 Menschen sind in den letzten Wochen in die Nachbarstaaten Elfenbeinküste und Guinea geflohen. Dorthin sind in den letzten Jahren schon Hunderttausende Liberianer geflüchtet. Die Neuankömmlinge erzählen von wiederaufgeflammten Kämpfen, marodierenden Banden und niedergebrannten Dörfern und Ernten. Und sie müssen nicht nur Tote zurücklassen, sondern auch eingeschlossene Zivilisten. Nach Angaben des lutherischen Bischofs von Liberia, Ronald Diggs, leben allein im Grenzort Phebe 7.000 Menschen ohne Nahrung.

Seit mehreren Wochen sind keine Hilfsorganisationen mehr im Landesinneren von Liberia aktiv. In fünf Jahren Krieg sind zwei Drittel der 2,5 Millionen Einwohner zu Flüchtlingen inner- und außerhalb des Landes geworden. Die UNO mit ihren Beobachtern, die einen nur noch auf dem Papier bestehenden Friedensplan überwachen, und die westafrikanischen Friedenstruppen, die die Milizen des Landes entwaffnen sollen, sind außerhalb der Hauptstadt Monrovia machtlos.

Hinter dem Chaos steckt eine empfindliche Schwächung der größten bewaffneten Gruppierung des Landes, der „Nationalpatriotischen Front Liberias“ (NPFL) unter Charles Taylor. Einst Beherrscher nahezu des gesamten Staatsgebiets außerhalb der Hauptstadt, kontrolliert Taylor jetzt nur noch die Nimba-Berge im Nordosten. Viele NPFL-Kämpfer sollen sich unter Führung des Politikers Tom Woewiyu von ihm losgesagt haben. Sogar Taylors Hauptquartier in der Stadt Gbarnga soll Mitte September gefallen sein, während er sich zu Friedensverhandlungen in Ghana aufhielt.

Wer Gbarnga eingenommen hat, ist nicht klar. Zuerst dachten Beobachter an die zweitgrößte Guerillabewegung Liberias, die „Vereinigte Befreiungsbewegung“ (ULIMO). Flüchtlinge nannten später eine andere Gruppe mit dem unpassenden Namen „Liberianischer Friedensrat“ (LPC). Aber in beiden Fällen würde das heißen, daß das Kriegsglück wieder auf der Seite des Krahn-Clans steht, der 1980 unter Führung von Samuel Doe die bis dahin herrschende traditionelle Elite aus „Ameriko-Liberianern“ – Nachfahren repatriierter Sklaven aus den USA – gestürzt hatte und bis zur Ermordung Does 1990 Liberia regierte.

Krahn-Soldaten aus Does Armee haben jüngst in der ULIMO die Kontrolle übernommen; die LPC wird von George Boley geführt, einem früheren Doe-Minister. Daß die Reste des Doe-Clans um ihren Wiederaufstieg kämpfen, bewies Mitte September auch ein Putschversuch des ehemaligen Polizeichefs von Doe, General Julue, der mit 100 Anhängern den Präsidentenpalast besetzte und von den nigerianischen Eingreifsoldaten wieder hinausgebombt werden mußte. Dominic Johnson