: Illustre Koalition von Gatt-Gegnern
US-Repräsentantenhaus verweigert Abstimmung über Weltfreihandelsabkommen Gatt / Bis nach Kongreßwahlen im November verschoben / Herbe Schlappe für Clinton ■ Aus Washington Andrea Böhm
Jawohl, auch er ist wieder da: Wann immer Wahlen oder die Ratifizierung von Freihandelsabkommen anstehen, taucht Ross Perot auf der politischen Bühne auf. Gestern gab es für den texanischen Computermilliardär, Populisten und Schrecken des Zwei-Parteien- Systems Anlaß zum Feiern. Das US-Repräsentantenhaus hatte sich am Mittwoch abend geweigert, über die Ratifizierung des Gatt- Abkommens abzustimmen. Damit brachten die Republikaner, mit Unterstützung einiger Demokraten, US-Präsident Bill Clinton nach dem Scheitern der Gesundheitsreform und einer Neuregelung der Wahlkampffinanzierung eine weitere empfindliche Niederlage bei.
Letztere war zeitlich gut abgestimmt: Mit der Schlappe im Repräsentantenhaus ist die Position des US-Präsidenten – und damit seiner Partei – kurz vor den Kongreßwahlen am 8. November noch weiter geschwächt worden. Nun soll das Freihandelsabkommen, das im April 94 in Marrakesch von 123 Nationen unterzeichnet wurde, erst Ende November wieder im Kongreß zur Abstimmung kommen.
Im Weißen Haus gibt man sich weiterhin optimistisch, daß die Ratifizierung des Gatt-Abkommens noch in diesem Jahr vollzogen wird. Doch manche Beobachter fühlen sich bereits an den Sommer 1993 erinnert, als die Clinton- Regierung dem Nafta- Abkommen, dem Freihandels-Agreement zwischen Kanada, Mexiko und den USA, nur nach einem enormen Kraftakt eine hauchdünne Mehrheit im US-Kongreß verschaffen konnte.
Auch dieses Mal hat sich auf der Anti-Gatt-Seite jene illustre Koalition zusammengefunden, die von Gewerkschaften über Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen bis zu Populisten à la Ross Perot, Rechtskonservativen wie dem ehemaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Pat Buchanan und politisch engagierten Prominenten wie Rockstar Lou Reed reicht.
Doch im Gegensatz zur Nafta- Debatte findet ihre Opposition in der Öffentlichkeit kaum Resonanz. Anders als im Fall Nafta hat es in den USA um das Gatt-Abkommen keine hitzige Debatte, keine Meinungsumfragen, keine Fernsehduelle zwischen Perot und Vizepräsident Al Gore gegeben. Gatt ist weitaus populärer als Nafta – nicht zuletzt, weil das Welthandelsabkommen US-Produkten bessere Chancen auf solch begehrten Märkten wie Japan und Frankreich verschafft. Darüber hinaus dürften nur wenige Amerikaner in- und außerhalb des Parlaments konkrete Vorstellungen darüber haben, was sich zwischen den 4.000 Seiten Text des Abkommens verbirgt.
Für den Prozeß der Meinungsbildung sind das keine idealen Voraussetzungen. Doch die Unbedarftheit der meisten US-amerikanischen Kongreßabgeordneten dürfte die Ratifizierung des Gatt- Abkommens Ende November erleichtern, wenn wahlkampftaktische Überlegungen keine Rolle mehr spielen und die Republikaner wieder ihre traditionelle Position auf seiten der Gatt-Befürworter einnehmen.
Ein entscheidender Punkt bereitet der Regierung jedoch weiterhin Kopfzerbrechen: das Geld. Nach der im Gatt-Abkommen geplanten Aufhebung von Einfuhrzöllen müssen die USA in den nächsten zehn Jahren mit Einbußen in Höhe von rund 40 Milliarden Dollar rechnen.
Der „Budget Enforcement Act“ verpflichtet den US-Kongreß, Kosten oder Verluste, die aus der Verabschiedung neuer Gesetze entstehen, durch Haushaltskürzungen oder neue Einnahmen auszugleichen. Vermutlich wird Bill Clinton den Kongreß bitten müssen, den Budget Enforcement Act im Fall Gatt mit der Begründung auszusetzen, daß das Abkommen durch ein wachsendes Handelsvolumen langfristig mehr Dollar einbringt, als durch den Abbau von Zöllen verlorengehen. Damit aber würde Bill Clinton seine Reputation bei der Bekämpfung des Defizits aufs Spiel setzen. Der erste, der daraus politisches Kapital schlagen kann, ist Ross Perot.
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