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„Unerfreuliche Thematik“ abgeschlossen

■ Ergebnisloses Rätseln um den Freitod des Umweltamtsleiters von Großenhain

Dresden (taz) – Supermärkte und Parkplätze auf grüner Wiese, Gewerbeparks ohne Gewerbe, wilde Müllkippen und marode Fabrikhallen, stinkend volle Straßen und ein verwaister Flugplatz. Wo doch noch ein bißchen Grün wächst, sollen Steinbrüche aufgerissen und soll eine neue ICE- Strecke gebaut werden. Im Landkreis Riesa/Großenhain – er zählt knapp 130.000 Menschen in vier Kleinstädten und 41 Gemeinden – liegt die Arbeitslosigkeit offiziell bei 16,2 Prozent. An ehrgeizigen Plänen mangelt es nicht: Zivilflugplatz, ein Freizeitzentrum, noch ein Gewerbegebiet ... Nur die Bundeswehr weiß, wie es weitergeht. Ab nächstem Jahr darf sie zu Tiefflugübungen in den „Großenhainer Korridor“ starten.

Riesa/Großenhain – ein ganz normaler Wahnsinn, nicht anders als anderswo in den neuen Bundesländern auch. Aber einer hat diese „Normalität“ nicht überlebt. Der Umweltamtsleiter des Landkreises Riesa/Großenhain, Ulrich Baer, starb vor zwei Wochen 56jährig an den Folgen einer Selbstverbrennung. Bei der Großenhainer Lokalredaktion der Sächsischen Zeitung ging ein Abschiedsbrief ein; in einem weiteren Brief hatte sich Ulrich Baer von seiner Familie in Leimen bei Heidelberg verabschiedet.

1993 kehrte der Chemieingenieur, der Ende 1989 mit seiner Familie in den Westen gegangen war, allein nach Sachsen zurück und wurde Umweltamtsleiter im damaligen Kreis Großenhain. Auch für den neuen Landkreis Riesa/Großenhain blieb er „kommissarisch“ im Amt. Seine KollegInnen erinnern ihn als ruhigen, äußerst gewissenhaften Menschen.

„Ich möchte ein Zeichen setzen für die Menschen und für die Umwelt“, so Baer in seinem Abschiedsbrief, „der Crash ist vorprogrammiert.“ Wichtige Entscheidungen für die Erhaltung der Umwelt würden auf der Strecke bleiben, weil „nur noch über den Haushalt“ diskutiert werde, „und das mit eiserner Bürokratie“.

In Gummistiefeln und Anorak war der Umweltbeamte immer wieder zu den Vierteichen gegangen, einem vom Austrocknen bedrohten Biotop. Für die Rettung dieser Teiche hatte er sich mehrfach öffentlich zu Wort gemeldet. Baers letzte Botschaft aber blieb den KollegInnen ein Rätsel. Von einem „allgemeinen Rundumschlag gegen Kreis, Land und Bund“ ist im Landratsamt die Rede, vom „Eigenbrötler“ auch, der seinen Depressionen nicht mehr gewachsen war.

Doch die Öffentlichkeit, „fassungslos“ über den Freitod des Umweltschützers, hat ihre Fassung wiedergefunden. Am Mittwoch, auf der ersten Kreistagssitzung nach dem Menetekel, zog Landrat Rainer Kutschke (CDU) einen Schlußstrich. „Bei aller Bestürzung“ über den Tod des Kollegen müsse er Baers Brief doch kritisch kommentieren. Der Landkreis Riesa/Großenhain bemühe sich durchaus um eine Synthese von „Umweltfreundlichkeit und wirtschaftlicher Entwicklung“. Damit war die „unerfreuliche und erschütternde Thematik“ abgeschlossen. Der Kreistag ging zur Tagesordnung über. Detlef Krell

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