: Mädchenbeschneidung in Schwarzafrika
■ Erfahrungen zeigen, daß nur Ausbildung und Erziehung zum Umdenken führen
„Als ich noch sehr klein war, hat mich eine alte Frau zu einer Hütte gebracht und dann mit Dornen und Messern an mir herumgeschnitten“, erzählt die somalische Schauspielerin Ibado Ahmed Mohamed. „Drei Monate mußte ich dann im Krankenhaus liegen.“
Die junge Frau hat als sechsjähriges Mädchen die radikalste Form der Beschneidung über sich ergehen lassen müssen, bei der alle äußeren Geschlechtsteile weggeschnitten werden und dann die Wundöffnung um die Vagina vernäht wird. Übrig bleibt ein reiskorngroßes Loch. Bei anderen Praktiken werden nur Klitoris und ein Teil der Schamlippen entfernt oder, wie bei den Massai in Kenia, nur die Klitorisvorhaut.
Gesundheitliche Risiken gibt es immer: Sie reichen von Problemen bei Entbindung und Geschlechtsverkehr über Zystenbildung, Stau von Menstruationsblut bis zur Gefahr der Aidsinfektion durch unsterile Instrumente. 70 Prozent aller beschnittenen Mädchen in Kenia bestätigen in einer Untersuchung, daß für ihre gesamte Altersgruppe im Dorf jeweils nur ein Messer benutzt wurde.
„Ich habe keine Tochter, aber wenn ich eine hätte, dann würde ich sie nicht das durchmachen lassen, was ich erlebt habe“, meint Ibado Ahme Mohamed. Sie ginge damit ein Risiko ein – wer sich dem gesellschaftlich geforderten Ritual verweigert, droht zur Außenseiterin zu werden. Nicht nur in Somalia: „Im Dorf ist es sehr schwer, sich dem Druck zu entziehen“, erzählt Joyce Naisho vom Volk der Massai, die im Rahmen ihrer Tätigkeit für die kenianische Hilfsorganisation AMREF Forschungsarbeit zu dem Thema geleistet hat. „Ein unbeschnittenes Mädchen hätte es schwer, einen Ehemann zu finden. Schlimmstenfalls würde die Familie des Mannes die Beschneidung noch nach der Geburt des ersten Kindes erzwingen.“
Die Gründe, die für die Tradition der Beschneidung angegeben werden, variieren ebenso wie die Praxis des Rituals und das Alter der Kinder. In Somalia werden Mädchen im Alter von fünf bis sechs Jahren beschnitten, in den christlichen Gebieten Eritreas als Babys vor der Taufe, bei den Massai in Kenia zu Beginn der Pubertät. Der somalische Lyriker Saeed Salah Ahmed, der selbst ein Gedicht gegen die Beschneidung von Frauen geschrieben hat, erklärt: „Die meisten Männer glauben, daß die Jungfräulichkeit der Mädchen nur durch die Beschneidung sicher erhalten bleibt.“ In der somalischen Tradition ist es Sache des Ehemanns, in der Hochzeitsnacht die Geschlechtsöffnung seiner Frau wieder zu erweitern. – Kenianische Frauen, die im Rahmen einer Studie zu dem Thema befragt wurden, begründeten die Beschneidung mit religiösen Motiven, verbesserten Heiratschancen, dem Schutz der Jungfräulichkeit und der Notwendigkeit eines sichtbaren Symbols für den Beginn des Erwachsenenlebens. Rund zwei Drittel aller Interviewpartnerinnen sprachen sich für die Beibehaltung der Tradition aus. Gesetzliche Verbote können an der Praxis, die in vielen Ethnien tief verankert ist, nach Ansicht von Joyce Naisho kaum etwas ändern: „Dann wird es nur trotzdem weiterhin heimlich gemacht, und niemand erfährt je, was passiert.“
Erfahrungen in anderen Ländern geben ihr recht. Im Sudan wurde die Beschneidung bereits 1946 verboten – aber eine Studie vor einigen Jahren ergab, daß nur zwei Prozent aller Frauen dort nicht beschnitten sind. Joyce Naisho setzt auf einen Prozeß des Umdenkens durch Ausbildung und Erziehung. Tatsächlich lehnen kenianische Frauen, die eine Oberschule besucht haben, Beschneidung viermal häufiger ab als Analphabetinnen.
Aber das Thema ist heikel: Weil Missionare und Kolonialherren die Tradition verdammten, geraten ihre Gegner bis heute in den Verdacht westlicher Fremdbestimmung. Mitte der zwanziger Jahre machten kenianische Unabhängigkeitskämpfer das Recht auf Beschneidung zu einem zentralen Punkt ihres Widerstands gegen britische Kolonialherren. Das Argument zieht bis heute.
Die Tradition der Beschneidung dürfte in Afrika noch über Generationen hinweg fortbestehen. Niemand weiß genau, wie viele Frauen der Praxis unterzogen werden. Aber die Zahl ist hoch: Für den gesamten Kontinent rangieren die Schätzungen zwischen 30 und 70 Millionen. Einen Zusammenhang zwischen der Diskriminierung von Frauen und dem Ritual sieht die somalische Sängerin Hadijia Abdullahi Dalleys: „Von alters her hat die Gesellschaft Frauen als Besitz angesehen, die auch über ihre Sexualität nicht frei bestimmen können. Wir werden verachtet.“ Bettina Gaus
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