piwik no script img

Notprogramm in Billigversion

■ Winterprogramm für Obdachlose wird reduziert / Weniger Containerschlafplätze, dafür mehr Notbetten im Pik As

Notprogramm fürs Notprogramm – 400.000 Mark billiger und einen Monat später als im Vorjahr soll im Dezember das Winternotprogramm für Obdachlose anlaufen. Die Sozialbehörde bestätigte gestern, daß die Zahl der in den vergangenen Jahren kirchlich-betreuten Containerplätze zugunsten billigerer staatlicher Schlafplätze reduziert werde.

750.000 Mark hatte sich die Behörde die Bereitstellung von 160 Plätzen in Zwei-Bett-Containern 1993 kosten lassen; dafür konnten bei zahlreichen Kirchengemeinden menschenwürdige Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen werden. In diesem Jahr sollen es nur 330.000 Mark sein. Behördensprecherin Tordis Batschneider bemühte Arithmetik: „Das ist keine Ein-sparung, wir hatten immer nur 330.000 Mark zur Verfügung“. Im letzten Jahr habe man den Haushaltstopf schlicht überzogen, das dürfe nicht wieder geschehen.

Und dann das obligate Schönreden: Der Landesbetrieb Pflegen und Wohnen werde statt dessen die notwendigen Betten bereithalten, in der Übernachtungsstätte Pik As und den Hotelschiffen in Neumühlen würden zusätzliche Kapazitäten geschaffen.

Ein Hohn, da die Behörde es eigentlich besser weiß: Diese Angebote wurden von Obdachlosen nicht angenommen, da die Schlafsäle seit jeher als menschenunwürdig empfunden werden. Zudem dürfen die Obdachlosen dort nur nächtigen – mit der täglichen Kälte müssen sie alleine klarkommen.

Jetzt wird die Finanznot der Stadt an die Ärmsten weitergereicht. Die kostengünstigeren Plätze des Landesbetriebs müßten in diesem Jahr halt Vorrang haben, so die Behördenbegründung. Ähnliche Anweisungen hatten vor einem Monat bereits die Mitarbeiter des Landessozialamtes bekommen: Sie waren aufgefordert worden, solange keine Wohnungslosen in Pensionen unterzubringen, bis im Pik As alle Plätze belegt seien. Amtsleiterin Elisabeth Lingner hatte die Anweisung, die von den Mitarbeitern als Rechtsbeugung empfunden wurde, mit zu hohen Kosten begründet – zuerst müßten die günstigeren Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Gestern räumte sie aber ein, daß die Reduzierung des Containerprogramms in ihrem Hause umstritten sei.

Und nicht nur da: Kritik hagelte es gestern von allen Seiten. Nicht nur CDU und Statt Partei holten aus, auch die Mitarbeiter zahlreicher Obdachloseneinrichtungen bezeichneten die Sparmaßnahme als unverantwortlich.

Sannah Koch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen