■ Kein Sieg der Demokratie:
: Ein Systemkollaps

Italiens Strafermittler und Gerichte haben in den vergangenen zwei Jahren beispiellose Arbeit geleistet, großen Mut gezeigt, ein komplettes korruptes Regime unter Anklage gestellt. Dennoch: Italiens Justiz hat den Kampf gegen die Korruption verloren. Einer der Ermittlungsrichter hat es beschrieben: „Wir können mit der Strafjustiz im Grunde nur gegen nebensächliche kriminelle Verhaltensweisen angehen. Werden diese zu Massenerscheinungen, geht auch da nichts mehr.“ Tatsächlich haben die Ermittler der Aktion „Saubere Hände“ reichlich Kontoauszüge, Buchführungskontore, Geständnisse und Zeugenaussagen, um Tausende Verfahren durchzuführen. Doch gerade diese Menge macht die Durchführung schier unmöglich.

In Italien wuchs in den letzten beiden Jahren die große Hoffnung, Prozesse gegen die Großen der Politik und der Wirtschaft bis zum Ende durchstehen zu können, weil gleichzeitig neue politische Kräfte erstarkten, die sich hinter eine Reinigung gestellt haben. So kam es zu dem, was wir gerne eine „Revolution ohne Barrikaden“ nennen. Mittlerweile müssen wir uns jedoch darüber klarwerden, daß weder die Justiz noch diese neuen Kräfte das Alte ausgehebelt haben; es hat nichts anderes als einen Kollaps des Systems in sich gegeben.

Was bedeutet diese Erkenntnis? Daß hinter dem Neuen, das wir erwartet und ersehnt haben, wieder das Alte auftaucht, daß es wieder zum altgewohnten „Transformismus“ kommt, bei dem nach einer turbulenten Phase wieder alles so ist wie vorher. Zwar sind viele Mauern zusammengebrochen – die Festungen der alten Parteien sind zerbröckelt, das alte Machtkartell ist zerfallen, ein Haufen Banditen sind hinweggefegt. Doch nirgendwo zeigt sich in dem „Neuen“, das allenthalben als Garant der Zukunft vorgestellt wird, ein Ansatz dafür, wie die Fehler des „Alten“ vermieden werden können. Kein Zeichen für eine gewandelte Moral ist in Sicht. Keiner der Korrupten wurde zu einer empfindlichen Strafe verdonnert. Alles, was ihnen passierte, waren ein paar Demütigungen, weil sie eine Woche in U- Haft mußten oder vor Gericht kamen.

Die „neuen Kräfte“ spielen bei alledem mit. Die norditalienischen Ligen, die einst das alte System so scharf angriffen, bauen ihre Macht bereits auf den alten Proporz, Berlusconis Antiparteibewegung Forza Italia wird zur Partei alten Stils, und auch die gewandelten Kommunisten bleiben die alten. Wahrscheinlich haben die Wissenschaftler recht, die die Ansicht vertreten, die heutigen Gesellschaften mit ihrem rapiden Wandel und ihren ständig wechselnden Konstellationen führten unweigerlich auch zur Korruption. Giorgio Bocca

Der Autor ist Verfasser zahlreicher Studien zum Faschismus und einer der bekanntesten Kritiker der italienischen Politik. Der Kommentar ist ein Nachdruck seiner wöchentlichen Kolumne „L'antitaliano“ in „L'Espresso“.