: Kaindl-Prozeß: Mordanklage kippt
Vorsätzlicher Mord an Rechtsradikalem Kaindl wird unwahrscheinlicher / Das Gericht prüft die Verwertbarkeit der Aussagen eines psychisch kranken Angeklagten ■ Aus Berlin Jeannette Goddar
Daß die sieben Angeklagten im Kaindl-Prozeß vor dem Berliner Landgericht den rechtsradikalen Politiker im April 1992 „gemeinschaftlich ermordet“ haben, wird immer unwahrscheinlicher. Laut Anklageschrift soll die Gruppe Gerhard Kaindl bei einem Angriff auf eine Versammlung der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ in einem China-Restaurant im Berliner Bezirk Neukölln nach einem „gemeinsam verfaßten Plan“ ermordet haben.
Gestern verdichteten sich die Hinweise, daß der Vorwurf des Tötungsvorsatzes nicht haltbar sein wird, weil die belastenden Aussagen des psychisch Kranken Erkan S. sich als unverwertbar erweisen könnten.
Zur Festnahme der sechs Türken und eines Deutschen im Alter zwischen 19 und 33 Jahren war es im November vergangenen Jahres gekommen, nachdem der 19jährige Erkan S. sich gestellt und dem Staatsschutz ein umfangreiches Geständnis abgelegt hatte. An seinen Aussagen, in denen von einem Tötungsvorsatz der Gruppe die Rede war, tauchen jetzt auch von seiten des Gerichts stärker Zweifel auf.
Die Vorsitzende Richterin Gabriele Eschenhagen erklärte gestern, Erkan S. zum Tathergang nicht mehr zu befragen, bis geklärt sei, inwieweit seine Aussagen „verwertbar“ seien. Der 19jährige befindet sich bereits seit längerem in einer Nervenklinik; für die Tatzeit attestierte ihm ein gerichtsmedizinisches Gutachten „paranoid-halluzinatorische Schizophrenie“. Er wurde für schuldunfähig erklärt.
Sollten sich seine Aussagen als „unverwertbar“ erweisen, ist auch fraglich, inwieweit auf die die übrigen Angeklagten belastenden Vernehmungsprotokolle des Staatsschutzes zurückgegriffen werden kann. Diese jedoch bilden immer noch den einzigen Anhaltspunkt für einen gemeinschaftlich begangenen Mord. Wenn dieser wegfällt, müssen sich die Angeklagten – oder auch nur einige von ihnen – vermutlich lediglich wegen Körperverletzung mit Todesfolge verantworten. Zweifel kamen gestern auch an den Vernehmungsmethoden des Staatsschutzes auf. Einige der Angeklagten gaben an, nach ihrer Verhaftung nicht über ihre Rechte informiert worden zu sein. Zwei von ihnen – Erkan S. und Bazdin Y. – haben ihre wesentlichen Aussagen ohne Hinzuziehung eines Anwalts gemacht. Bazdin Y. erklärte außerdem, auf viele – in Teilen suggestive – Fragen nur mit „Ja“ oder „Nein“ geantwortet zu haben, ohne sich wirklich erinnern zu können. Ferner sei ihm suggeriert worden, wenn er eine Aussage mache, könne er anschließend nach Hause gehen. Die Vernehmungsbeamten werden in der übernächsten Woche gehört.
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