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Wahlkämpfer wählt Gegner

■ Das Kreuz mit dem Kreuz: Uwe Dähn kandidiert gegen Heym und Thierse / Doch der Bündnis-90-Vertreter läßt den Giganten ihr Rennen, liest Heym, wählt Thierse

Drei, vier Züge an der Filterlosen. Heym? Thierse? „Ich versinke nicht in Ehrfurcht vor den beiden“, sagt er. Ruhig, ganz gelassen, bis die nächste Zigarette ihn verrät. Kann einer, der Direktkandidat der Bündnisgrünen ist, gleichzeitig Stefan Heyms Bücher mögen und Wolfgang Thierse wählen? Uwe Dähn, Jahrgang 50, beschwichtigt. Er habe gewußt, was da auf ihn zukommen würde. Dieses Mal schon. „So naiv wie 1990 bin ich nicht mehr“, sagt er und schwelgt stückweise in Vergangenheit. Wie er für das Neue Forum am Ostberliner Runden Tisch/Kultur gesessen hatte, wie ihn Freitag abends ein Freund zu einer Versammlung schleppte, er drei Stunden später nominiert und am Montag nachmittag Kultur- und Bildungsstadtrat war.

Diesmal, da ihn Bündnis 90/ Die Grünen ins Bundestagsrennen schickten, sei er mit dem Wissen gegangen, Außenseiter zu sein. Doch als Alibimann wäre er nicht in den Wahlkampf gezogen, betont Uwe Dähn. Er habe Ideen. Für Mitte und Prenzlauer Berg, weniger gegen Stefan Heym und Wolfgang Thierse. Also kein David gegen zwei Goliaths, wie ihn eine Zeitschrift im Prenzlauer Berg nannte? Nein, schließlich könne man mit 12 bis 15 Prozent der Wählerstimmen in Mitte und Prenzlauer Berg für die Bürgerbewegten nun einmal kein Direktmandat holen. Wohl aber gute Politik für Bündnis 90/Die Grünen machen. Er weiß, was den Leuten dort angst macht. Selbst in einem privaten Mietshaus wohnend, hat er sich gegen Luxusmodernisierung wehren müssen. Die Nachbesserung der Renten ist für ihn ebenso wichtig wie das Offenhalten der Stasiakten. Dafür macht er Polit-Frühstücke, Info-Stände, Konzerte. „Wahlkampf geht nur, weil ich arbeitslos bin.“

Einst war er Stadtrat, auch Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90, später Sprecher des ersten gemeinsamen Berliner Vorstands von Bündnis 90/ Die Grünen, dann schließlich Bezirksverordneter in Mitte: „Es gibt noch viele andere Formen, Politik zu machen. Der Knackpunkt ist, daß ich niemals im materiellen Sinne von ihr abhängig sein will.“ Kandidieren, um abgesichert zu sein, das wäre ihm ein Greuel.

Es sei eine ganz persönliche Meinung, sagt Dähn, die ihn bestärkt habe, bei den Bundestagswahlen seine Stimme Wolfgang Thierse zu schenken, auch weil er sich innerhalb der SPD weiterhin eine „ostdeutsche Stimme“ wünscht. „Dies ist aber kein Aufruf an die Wähler, die Erststimme grundsätzlich der SPD zu geben“, beteuert er. Es ist noch gar nicht lange her, da gab sich Uwe Dähn verärgert über den Vorschlag von Parteifreund Werner Schulz, der da forderte: Liebe Wähler, gebt eure Erststimme den SPD-Kandidaten, um den Einzug der PDS zu verhindern. Dähn hielt diesen Vorschlag für unehrlich: Die Bündnisgrünen selbst bezeichneten die Fünfprozentklausel als undemokratisch, deshalb dürften sie nicht mit Tricks versuchen, eine Partei, die bundesweit vielleicht vier Prozent erreicht, im Osten aber zwanzig Prozent, vom Bundestag fernzuhalten.

Die PDS, behauptet er, fände es gut, wenn Helmut Kohl an der Macht bliebe. „Dann hätte sie genügend Zeit, sich zu profilieren.“ Stefan Heym hingegen könne man als „Sozialisten, der er immer war“, abnehmen, daß er ehrlichen Herzens für die PDS angetreten sei. Obwohl sich der Bündnisgrüne von Heym lieber ein neues Buch wünscht, für das, falls jener in den Bundestag gelänge, kaum Zeit sein dürfte. „Merkwürdig ist doch aber, daß Heym auch für jene Genossen, die einst den Staatsfeind in ihm sahen, heute Hoffnungsträger ist.“

Dähn setzt in seinem wahlkampf auf Sympathisanten aus der freien Kulturszene in Mitte, die weder Thierse wählen würden, da für sie die SPD zum Beispiel wegen des Asylkompromisses der Umfaller unter den Parteien überhaupt ist, noch Stefan Heym, bei dem sie fürchten, einem Schwanz alter SED-Kader zum Einzug in den Bundestag zu verhelfen. Er kämpfe für bündnisgrüne Ziele und die politischen Ideale, für die er an der Humboldt-Uni Bücher versteckte, darunter auch Heyms „5 Tage im Juni“, für die er wegen der Bildung einer oppositionellen Gruppe mit Berufsverbot belegt wurde und seinen Job an der Akademie der Wissenschaften verlor. Für Vorstellungen von Freiheit, die ihm zu dreißig Bänden Stasiakten verhalfen. Die seine damalige Freundin und ihren Sohn 1988 um die Freude der ersten Auslandsreise brachten, weil sie an der Grenze zur CSSR zurückgeschickt wurden.

Während Heym und Thierse in Talk-Shows glänzen, geht Uwe Dähn lieber ins „ZoscH“. Dort sagt einer, die Wahlplakate der Bündnisgrünen seien total langweilig. „Mach was besseres“, bat Uwe Dähn. „Helmut unvergessen“ kam heraus. Eine Inschrift auf verwitterndem Grabstein, alles in Schwarzweiß. Die Basisgruppe Mitte konnte zufrieden sein. Ob er denn mit zum Plakatieren komme, fragt einer. Das sind Momente, in denen Uwe Dähn doch von einem Wahlkampfbüro träumt. „Nach den Wahlen gewöhn' ich mir das Rauchen ab, bestimmt.“ Kathi Seefeld

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