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„Können wir alle zusammen dem Terrorismus abschwören?“ Von Ralf Sotscheck

Die Inszenierung war genial: Larry King von US-Sender CNN hatte es geschafft, den nordirischen Unionisten Ken Maginnis an einen Tisch mit dem Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams zu locken. Freilich ignorierte Maginnis seinen Kollegen während der gesamten Sendung und sprach lediglich mit King. Der war jedoch fest entschlossen, die Komödie in einen „historischen Augenblick zu verwandeln“. „Können wir hier und heute“, so fragte er, „alle zusammen dem Terrorismus abschwören?“ War der Talkshowmaster früher etwa Gewalttäter? Oder meinte er seine unsägliche Sendung, mit der er die ZuschauerInnen terrorisiert? Jedenfalls streckte Adams seine Hand in Maginnis' Richtung, doch der reagierte, als sei es ein Pferdefuß. Und als Maginnis nach der Sendung dem irischen Fernsehen ein Interview gab, schlich sich Adams von hinten an, legte Maginnis den Arm auf die Schulter und rief freudig: „Ken, Ken!“ Die Freude war aber einseitig, Ken machte sich flugs aus dem Staub. Punktsieg für Adams.

Es war für ihn einfach, in den USA einen guten Eindruck zu machen, herrscht doch derzeit Wahlkampf. Angesichts der großen irischen Emigrantengemeinde ging eine ganze Reihe US-Politiker mit Adams' Hilfe auf Stimmenfang. Es habe „in der irischen Geschichte keinen größeren Führer als Gerry Adams“ gegeben, verkündete der Kongreßabgeordnete Peter King sogar. Die „einzigen Terroristen in Nordirland sind die britischen Soldaten“, fügte er hinzu. Das geht den 40 Millionen US-AmerikanerInnen, die sich auf irische Wurzeln berufen, runter wie Öl. Adams hieb in dieselbe Kerbe: „Wir haben das Pech, daß wir neben einer Insel leben, die sich noch immer einbildet, besser als alles andere in der Welt zu sein.“

Das glauben die meisten US- IrInnen allerdings auch von sich, viele tun sich durch Intoleranz und Rassismus hervor. Als der Mietwagen des Belfaster Schriftstellers Sean McGuffin in Boston aufgebrochen worden war, versicherten ihm die irischstämmigen Polizisten: „Das waren mit Sicherheit diese Scheiß-Nigger. Die klauen alles, was sie in ihre dreckigen Pfoten kriegen.“ Und am St. Patrick's Day, dem irischen Nationalfeiertag, durften Schwule und Lesben nicht bei der traditionellen New Yorker Parade mitlaufen – aus moralischen Gründen. Als sie eine eigene Parade organisierten, wurden sie von ihren Landsleuten mit Eiern beworfen und vermöbelt.

Die US-Rundreise des Sinn- Féin-Präsidenten zu den irischen Hochburgen war denn auch von Mißverständnissen begleitet. Während Adams vom Friedensprozeß sprach, trugen seine Anhänger T-Shirts mit aufgedruckten Maschinenpistolen und skandierten den IRA-Schlachtruf: „Tiocfaidh ar la“ – unser Tag wird kommen. Im John Boyle O'Reilly Club bei Boston, der nach einem irischen Freiheitsdichter aus dem vorigen Jahrhundert benannt ist, erinnerte sich die irische Gemeinde an ihre Vorväter: Diese waren vor 150 Jahren vor der „Hungersnot“, die von der britischen Regierung herbeigeführt worden war, in die Neue Welt geflohen und stießen bei der Arbeitssuche – etwa bei der Waffenfabrik Smith and Wesson – ständig auf Verbotsschilder: „Keine Katholiken“. Bis vor drei Jahren hingen auch am John Boyle O'Reilly Club Verbotstafeln: „Frauen haben keinen Zutritt“.

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