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Sag Schweinehund dazu

Shane MacGowan, früher „Frontmann“ bei den Pogues, ist zur Promille-Folklore zurückgeschrumpft  ■ Von Jörg Feyer

Wenn einer, der „Frontmann“ genannt werden durfte, seine alte Band hinter sich läßt, sind fürs Promo-Spektakel in der Regel nur die gediegensten Kulissen gerade gut genug. Shane MacGowan, früher bei den Pogues, jetzt als „elder statesman“ irisch durchdrungener Rock-'n'-Roll-Folklore? Einer, der uns in landesüblicher Art und Weise – also, wenn's nach Landsfrau Sinead O'Connor geht, vor allem „klagend“ und „trauernd“ – mit weisen, wohlgewogenen Ein-, An- und Aussichten unterhält?

Nein, das denn doch nicht. Und so finden wir uns nicht in der üblichen Nobelabsteige wieder, sondern im „Filthy MacNastys“, einem „Whiskey Café“ (vulgo: Irish Pub) im Norden Londons. Goldene Pogues-Platten an den ocker getünchten Wänden signalisieren, daß der 36jährige Sänger/Songwriter hier zu den Stammgästen zählt. Und: Was ist schon gegen eine handfeste Trinker-Story mit zünftigem Lokalkolorit einzuwenden? Na eben.

MacGowan hockt über einem bis zum Rand gefüllten Bierglas mit Martini, daneben steht noch ein Miller-Bier griffbereit, das in einer kleinen Pfütze schwimmt. Von der wohl berühmtesten Schneidezahnmiene der Popwelt ahnt man oben nur noch ein paar kleine schwarze Stumpen, während unten fast alles noch steht, aber auf eine wundersam krude Art durcheinandergeht. Irgendwann wird sich Shane eine lausige Anchovis-Pizza bringen lassen, die er – notgedrungen – eher hinunterlutscht als richtig kaut. Mon dieu, diese Geräusche dabei!

Wie Motten das Licht umschwirren diejenigen unseren Tisch, die ein bißchen teilhaben wollen an der Shane-Legende oder ihre Version davon anbieten. Und die alle auch ein bißchen stolz sind, daß es einer der I(h)ren irgendwie „geschafft“ hat. Da ist der kleine nette Pub-Co-Besitzer mit Rauschebart, der vor sieben Jahren nach London übersiedelte, und nicht weiß, daß MacGowan jetzt „nicht mehr ganz so viel“ trinke. Da ist ein gewisser Harry, der sich mit irre fiesem Lachen über das ganze Promo-Ritual lustig macht und wissen will, ob wir auch „richtig tiefgehende Fragen“ stellen. Und da ist nicht zuletzt einer, der uns von Shane als sein „spiritual advisor“ vorgestellt wird und – als sein Schützling zwischendurch auf dem Klo verschwindet – mit konspirativ-belustigter Miene feststellt, daß Shane es „einfach versteht, die Extreme voll auszureizen“. Und daß es nichts mit Glück zu tun habe, daß er dann doch nicht von der Klippe falle: „Das ist sein Talent!“ „Ich bin jetzt ein Solo- Künstler“, nuschelt Shane gerade zum zweiten Mal ins Mikro. „Und wir sind seine Backing-Band“, assistiert Bassist Bernie, der auch dabeisitzen darf und dann deutlich wird: „It's not a fucking democratic thing!“ Aber ein paar Vorschläge dürfen er und die anderen Popes schon machen. „Bin ja schließlich kein kleiner Faschist“, sagt Shane und lacht sein Ernie-Lachen durch die Dental-Ruine. Was ihn jedoch nicht daran hindern konnte, bei seinem Entree ins „Filthy McNastys“ den bekannten deutschen Gruß zu entbieten. Harry stand auf, stramm, und erwiderte. Beide lachten. Soviel zum Lokalkolorit.

Für Cath Ranzetta sind die Pogues „nichts weiter als ein Schwindel“, trotz auch von ihr unbestrittener Verdienste um die Wiederbelebung traditioneller Songs. Aber, so urteilte die Textredakteurin von Virgin Classics in London unlängst an dieser Stelle, „sie geben sich als Iren aus, um dann ein Image als Trunkenbolde, Großmäuler und Widerlinge zu kolportieren“.

Also: Vier Whiskeys und ein Todesfall? Ein bißchen fremd sein in der Welt, erfüllt von der Sucht nach dem Sehnen Richtung Heimat? Die Pogues als „anarchistische Version der Dubliners“, wie Ann Scanlon in der offiziellen Band-Bio „The Lost Decade“ (Omnibus Press, 1988) notierte? Fragt man MacGowan heute, ob er und die Pogues geläufige Klischees über irische Musik eher bestätigt oder doch vielleicht geradegerückt hätten, kommt ein verständnisloses Schulterzucken und die Rede von der guten Musik für eine gute Zeit miteinander. „Es ist nunmal rauflustige Musik, die auch oft mit Saufen zu tun hat. Aber das kann man über Rock 'n' Roll auch sagen. Oder über Jazz. Der ursprüngliche Ansatz der Pogues war ja, zu sagen: Es gibt kaum einen Unterschied zwischen traditioneller irischer Musik und Rock 'n' Roll – gutem Rock 'n' Roll. Oder R'n'B, egal, wie du's nennst, gehört alles zur Familie.“

Doch dann, nach mehr als sieben exzeßfreudigen Jahren, ging die Familie in die Brüche. „Peace & Love“ (so der angemessene Titel des 89er Albums) sei sein „letzter Versuch“ gewesen, die „Kontrolle über die musikalische Richtung zurückzubekommen“. Doch sie entglitt MacGowan immer mehr, während sich einige Gefährten nebst Management und Plattenfirma über seine Versuche lustig machten, House-Beats zu integrieren („Down All The Days“), die da in the Summer of 89 aus Chicago auch nach London herüberschallten. Shane ging aber erst zwei Jahre später, nach „Hell's Ditch“. Oder wurde gegangen. Kommt drauf an, wen man gerade fragt.

Und so endeten die getrennten Wege. Während seine alten Kumpane auf ihrem letzten Werk „Waiting for Herb“ schon mal in Richtung „World Music“-Sounds expandierten, schrumpft sich MacGowan auf seinem Solo-Start „The Snake“ mit Songs wie „The Church Of The Holy Spook“ und „That Woman's Got Me Drinking“ zu seligen Punk-Rock-Anfängen und irische Promille-Folklore zurück. Für eine englische EP nahm er gar „King Of The Bip“ noch einmal auf – vor vielen Jahren seine allererste Single mit den Nipple Erectors. MacGowan kleidet diese Regression im Vergleich zu seiner ehemaligen Band in den wunderschönen, deshalb besser nicht übersetzten Satz: „They're into progression – we're just playing raw music.“ Und spielen dabei mit religiöser Symbolik, der man nicht allzuviel Bedeutung beimessen sollte. Der „Holy Spook“, das sei nur ein Synonym für den Heiligen Geist, der doch in jedem von uns stecke – Kirche hin, Religion her. Und der immer noch „ein mysteriöser Charakter“ sei, „weitgehend unerforscht“. Du darfst also auch innerer Schweinehund dazu sagen. Oder Himbeergeist.

Fragt sich nur, welche Erkenntnis aus all dem zu gewinnen ist – etwa die ganz banale, daß wir alle, Hörer wie Musiker, letzten Endes immer wieder „for sentimental reasons“ zu der Musik zurückkehren, die uns durch unsere Adoleszenz schleifte? Fragen wir doch mal Shanes „spiritual advisor“. Aber den brauchen wir gar nicht fragen. Aus dem sprudelt es nur so, als Shane mal wieder auf Klo ist. „Mit dieser Platte“, verkündet er, „legt Shane seine Vergangenheit endgültig zu den Akten, die nächste wird völlig anders sein. Ja, es ist wie eine kleine Teufelsaustreibung.“

Kein Song über London auf dem Album, jedenfalls nicht explizit, das war mir gleich aufgefallen. Und das will schon was heißen. So wie Colin MacInnes in seinen Romanen der „London Trilogy“ ein gültiges Bild der Stadt als Einwanderermetropole gezeichnet hatte, das sich später – siehe „Absolute Beginners“ – gleichwohl bestens für eine mythologisierende Reanimation eignete, so hatte Shane MacGowan in seiner Zeit mit den Pogues die London-Chronik für die 80er fortgeführt. Er schwärmte von Regennächten in Soho, warf sich der „Lady London“ vor die Füße, unter deren verblichenen Juwelen „acid house and punk“ erleuchteten. Oder er portraitierte sie als kühle „White City“, die sich unter den gierigen Klauen des Thatcherismus von einer „city of dreams“ in einen (Yuppie-)Alptraum verwandelt hatte.

Aber Shane MacGowan lebt auch nicht mehr in London. Nach dem Abgang bei den Pogues zog er zurück aufs irische Land, nach Tipperary, wo er seine frühe Kindheit verbracht hatte, und wohin er noch später, als die Familie längst nach England übergesiedelt war, für ein paar Wochen Ferien gern zurückkehrte – zurück zu Tante Nora, die ein leidlich katholisches Regime mit Rosenkranz, Glücksspiel, Zigaretten und Portwein führte. Unumgänglich, daß der heranwachsende Shane da irgendwann vom Glauben abfallen mußte.

Seine Zweitbude in Dublin hat er inwischen aufgegeben. „Ich war bald gelangweilt davon, konnte es mir auch nicht mehr leisten.“ Die noch in der Werbung annoncierte Zusammenarbeit mit Gaststars aus der alten/neuen Heimat ist dennoch ausgeblieben. Man ahnt vielleicht warum, wenn Shane – der Abend ist jetzt weiter fortgeschritten – kurzzeitig über seinem Martini einnickt. Van Morrison jedenfalls hielt es eine Woche mit MacGowan aus, um mit ihm alte Them- Songs aufzunehmen. Dann war's das. Mit Sinead O'Connor schaffte Shane immerhin eine Neuauflage von „Haunted“ – ein alter Pogues- Titel aus dem „Sid & Nancy“- Soundtrack, der eventuell später als Single rauskommen soll und ursprünglich von Cait O'Riordan gesungen wurde, die einst bekanntlich von Elvis Costello bei den Pogues aus- und in sein Leben und Werk eingespannt wurde.

Nur auf einen Promi darf MacGowan zählen: Johnny Depp spielte fürs Video zu „That Woman's ...“ Hauptdarsteller und Regisseur in Personalunion – und auch ein bißchen Gitarre auf der Single. Sollte er je mit Shane MacGowan im „Filthy McNastys“ abgehangen haben, wird auch Depp festgestellt haben, daß der Trinkspruch über der Theke exakt zum prominentesten Stammkunden des Hauses paßt: „O Lord make me pure“, steht da zu lesen, „but sure not yet.“

Shane MacGowan: „Snake“. WEA.

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