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Der unaufhaltsame Fall des Rubels

■ Kurssturz gefährdet Reformkurs der russischen Regierung / Inflation und sinkender Lebensstandard drohen

Moskau (AFP/taz) – Gestern fiel der Kurs des russischen Rubels erstmals unter die psychologische wichtige Marke von 3000: Für einen US-Dollar mußten auf dem Moskauer Interbank-Markt 3081 Rubel gezahlt werden. Seit die russische Zentralbank am 22. September ihre Interventionen zur Stützung der Währung einstellte, scheint der Kurssturz des Rubels unaufhaltsam: Er verlor seitdem 27 Prozent seines Werts. Die Folgen sind bedrohlich. Neun Monate Reformbemühungen der Regierung von Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin könnten so zunichte gemacht werden.

Tschernomyrdin konnte die Inflation bis zum Sommer unter Kontrolle halten. Sogar die Zentralbank hatte nach zwei Jahren Sabotage gegen die Wirtschaftsreformen durch eine drastische Zinserhöhung zur Eindämmung der Preissteigerungen und finanziellen Stabilisierung beigetragen.

Auf jeden Fall werden nun jedoch durch den dramatischen Wertverlust die Preise wieder steigen, denn Rußland importiert mehr als die Hälfte der Konsumgüter. Die Verteuerung des Dollars schlägt sich damit bei den ausländischen Produkten unmittelbar nieder. Mit ein wenig Zeitverzögerung werden dann auch die einheimischen Produkte teurer. Der ohnehin ärmliche Lebensstandard der Bevölkerungsmehrheit wird weiter sinken, denn die Löhne werden nicht in demselben Maß steigen können. Die meisten Russen tauschen ihre Löhne und Gehälter direkt nach der Auszahlung in Dollar um – aufgrund dieser Nachfrage steigt dessen Wert natürlich immer weiter.

Letzte Woche emittierte die Regierung Staatsanleihen in Höhe von einer Billion Rubel. Doch nur 43 Prozent wurden abgenommen. Die Regierung braucht aber dringend Geld, um ihren wachsenden Schuldenberg zu finanzieren. Allein die unbezahlten Rechnungen und Gehälter machen weit über zwei Billionen Rubel aus. Die Versuchung der Regierung, das Defizit mit der Notenpresse zu finanzieren, ist groß.

Die Schwächung des Rubels bringt auch die Privatisierung in Gefahr. In deren zweiter Phase sollten Unternehmensanteile erstmals gegen Geld verkauft und der Börse notiert werden. „Es ist im Moment völlig unmöglich, eine Aktie zu verkaufen“, klagt jedoch ein Broker. Freude am schwachen Rubel haben nur die exportorientierten Zweige der russischen Industrie, deren Produkte im Ausland wettbewerbsfähiger werden. Doch auch hier rechnen Experten nicht mit dem rettenden Aufschwung. „Selbst wenn russische Fernseher nur ein Viertel des derzeitigen Preises kosteten, werden sie im Ausland kaum ein Renner werden“, meint ein Unternehmer.

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